Kant: AA XI, Briefwechsel 1789 , Seite 050 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | Urheber der Formen und der Möglichkeit der Dinge der Welt (an | ||||||
02 | sich selbst) sey. | ||||||
03 | Ich zweifle aber sehr, daß dieses Leibnitzens oder Wolfs Meynung | ||||||
04 | gewesen sey, ob sie zwar wirklich aus ihren Erklärungen von der | ||||||
05 | Sinnlichkeit im Gegensatze des Verstandes gefolgert werden könnte und | ||||||
06 | die, so sich zu jener Männer Lehrbegrif bekennen, werden es schwerlich | ||||||
07 | zugestehen, daß sie einen Spinozism annehmen; denn in der That ist | ||||||
08 | Hrn. Maymons Vorstellungsart mit diesem einerley und könte vortreflich | ||||||
09 | dazu dienen die Leibnizianer ex concessis zu wiederlegen. | ||||||
10 | Die Theorie des Hrn. Maymon ist im Grunde: die Behauptung | ||||||
11 | eines Verstandes (und zwar des menschlichen) nicht blos als eines | ||||||
12 | Vermögens zu denken, wie es der unsrige und vielleicht aller erschaffenen | ||||||
13 | Wesen ist, sondern eigentlich als eines Vermögens anzuschauen, bey | ||||||
14 | dem das Denken nur eine Art sey, das Mannigfaltige der Anschauung | ||||||
15 | (welches unserer Schranken wegen nur dunkel ist) in ein klares Bewustseyn | ||||||
16 | zu bringen: dagegen ich den Begrif von einem Obiecte | ||||||
17 | überhaupt (der im klärsten Bewustseyn unserer Anschauung gar nicht | ||||||
18 | angetroffen wird) dem Verstande, als einem besonderen Vermögen, | ||||||
19 | zuschreibe, nämlich die synthetische Einheit der Apperception, durch | ||||||
20 | welche allein das Mannigfaltige der Anschauung (deren jedes ich mir | ||||||
21 | besonders immerhin bewust seyn mag) in ein vereinigtes Bewustseyn, | ||||||
22 | zur Vorstellung eines Obiects überhaupt, (dessen Begrif durch | ||||||
23 | jenes Mannigfaltige nun bestimmt wird) zu bringen. | ||||||
24 | Nun frägt Hr. Maymon: Wie erkläre ich mir die Möglichkeit der | ||||||
25 | Zusammenstimmung der Anschauungen a priori zu meinen Begriffen | ||||||
26 | a priori , wenn jede ihren specifisch verschiedenen Ursprung hat, da dieselbe | ||||||
27 | zwar als Factum gegeben, aber ihre Rechtmäßigkeit oder die | ||||||
28 | Nothwendigkeit der Ubereinstimmung zweener so heterogenen Vorstellungsarten | ||||||
29 | nicht begreiflich gemacht werden kan und umgekehrt, wie | ||||||
30 | kan ich durch meinen Verstandesbegrif z. B. der Ursache, dessen Möglichkeit | ||||||
31 | an sich doch nur problematisch ist, der Natur, d. i. den Obiecten | ||||||
32 | selbst, das Gesetz vorschreiben, zuletzt gar, wie kan ich selbst von diesen | ||||||
33 | Functionen des Verstandes, deren Daseyn in demselben auch blos ein | ||||||
34 | Factum ist, die Nothwendigkeit beweisen, die doch vorausgesetzt werden | ||||||
35 | muß, wenn man ihnen Dinge, wie sie uns immer vorkommen mögen, | ||||||
36 | unterwerfen will. | ||||||
37 | Hierauf antworte ich: dies alles geschieht in Beziehung auf ein | ||||||
[ Seite 049 ] [ Seite 051 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |