Kant: AA XI, Briefwechsel 1789 , Seite 036 |
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Text (Kant):
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| 01 | Nun ist der reale Unterschied gerade derjenige, den man | ||||||
| 02 | zum synthetischen Urtheile fodert. Die Logik, wenn sie sagt, daß alle | ||||||
| 03 | (assertorische) Urtheile einen Grund haben müssen, bekümmert sich um | ||||||
| 04 | diesen Unterschied gar nicht und abstrahirt von ihm, weil er auf den | ||||||
| 05 | Inhalt der Erkentnis geht. Wenn man aber sagt: ein jedes Ding | ||||||
| 06 | hat seinen Grund, so meynt man allemal darunter den Realgrund. | ||||||
| 07 | Wenn nun Eb[erhard] für die synthetische Sätze überhaupt den | ||||||
| 08 | Satz des zureichenden Grundes als Princip nennt, so kan er keinen | ||||||
| 09 | andern als den logischen Grundsatz verstehen, der aber auch analytische | ||||||
| 10 | Gründe zuläßt und allerdings aus dem Satze des Wiederspruchs abgeleitet | ||||||
| 11 | werden kan; wobei es aber eine grobe von ihm begangene | ||||||
| 12 | Ungereimtheit ist, seine sogenannte nicht=identische Urtheile auf den | ||||||
| 13 | Satz des zureichenden Grundes, der doch nach seinem Geständnis selbst | ||||||
| 14 | nur eine Folge vom Satze des Wiederspruchs sey (welcher schlechterdings | ||||||
| 15 | nur identische Urtheile begründen kan) als ihr Princip zurück | ||||||
| 16 | zu führen. | ||||||
| 17 | Neben bey merke ich nur an (um in der Folge auf Eberhards | ||||||
| 18 | Verfahren besser aufmerken zu können) daß der Realgrund wiederum | ||||||
| 19 | zwiefach sey, entweder der formale (der Anschauung der Obiecte) | ||||||
| 20 | wie z. B. die Seiten des Triangels den Grund der Winkel enthalten, | ||||||
| 21 | oder der Materiale (der Existenz der Dinge) welcher letztere macht, | ||||||
| 22 | daß das, was ihn enthält, Ursache genannt wird. Denn es ist sehr | ||||||
| 23 | gewöhnlich, daß die Taschenspieler der Metaphysik, ehe man sich versieht, | ||||||
| 24 | die Volte machen und vom logischen Grundsatze des z. Gr. zum | ||||||
| 25 | transsc. der Caussalität überspringen und den letzteren als im erstern | ||||||
| 26 | schon enthalten annehmen. Das nihil est sine ratione , welches eben | ||||||
| 27 | so viel sagt, als alles existirt nur als Folge, ist an sich absurd: oder | ||||||
| 28 | sie wissen diese Deutung zu übergehen. Wie denn überhaupt das | ||||||
| 29 | ganze Capitel vom Wesen, Attributen etc. schlechterdings nicht in | ||||||
| 30 | die Metaphysik (wohin es Baumgarten mit mehreren andern gebracht | ||||||
| 31 | hat) sondern blos zur Logik gehört. Denn das logische Wesen, nämlich | ||||||
| 32 | das, was die ersten constitutiva eines gegebenen Begrifs ausmacht, | ||||||
| 33 | imgleichen die Attribute, als rationata logica dieses Wesens, kan ich | ||||||
| 34 | durch die Zergliederung meines Begrifs in alles das, was ich darunter | ||||||
| 35 | denke, leicht finden: aber das Realwesen (die Natur) d. i. der erste | ||||||
| 36 | innere Grund alles dessen, was einem gegebenen Dinge nothwendig | ||||||
| 37 | zukommt, kan der Mensch von gar keinem Obiecte erkennen z. B. von | ||||||
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