Kant: AA X, Briefwechsel 1786 , Seite 448 |
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01 | gaben mir eine leichtere Übersicht über das ganze Ihres | ||||||
02 | Systems, ich faste die Deduktion der Categorien völlig, welches mir | ||||||
03 | unter allem die gröste Anstrengung verursachte, die doch in der Tat | ||||||
04 | mit den Begriffen von Zeit und Raum so gänzlich verbunden ist, welche | ||||||
05 | ich doch auf das erstemal begrif weil sie die meinigen waren, aber | ||||||
06 | vielleicht war dieß eben der Grund daß ich, da ich von diesen Begriffen | ||||||
07 | nicht den rechten Gebrauch machte mich um so mer gegen Folgerungen | ||||||
08 | darauß sträubte, die ich nicht wünschte, daß sie daraus folgen sollten. | ||||||
09 | Ihre Metaphysik der Sitten aber vereinigte mich ganz mit Ihnen, ein | ||||||
10 | Wonnegefül strömt mir durch alle Glieder, so oft ich mir der Stunden | ||||||
11 | errinere da ich sie zum erstenmal laß und mich Ihr Canon d. r. V. so | ||||||
12 | vortreflich vorbereitet hatte. Sehr viel hätte ich Ihnen zu sagen aber | ||||||
13 | der Raum verstattet es nicht, nichts wünsche ich sehnlicher als aus | ||||||
14 | Ihrem Munde zu lernen in Königsberg zu seyn um Ihnen alle meine | ||||||
15 | Gedanken mitteilen zu können Denn es aufrichtig zu gestehen, es | ||||||
16 | geht mir nahe wenn ich bey der Enthüllung ächter Weisheit nur Zuschauer | ||||||
17 | seyn soll, da ich doch Kraft genug füle sie über die Gebürge | ||||||
18 | emporheben zu helfen die das Vorurtheil vor sie gewälzt hat, und | ||||||
19 | die Ströme der Sinlichkeit zu dämmen die den Zutrit zu ihr den | ||||||
20 | Sterblichen verweren. Ob es nicht möglich wäre mich in Königsberg | ||||||
21 | aufzuhalten um meinen Endzwek einer Gemeinschaft mit Ihnen, zu | ||||||
22 | erhalten wünschte ich Ihren Rath, und um diesen mir geben zu können | ||||||
23 | muß ich sie mit mir mer bekant machen. | ||||||
24 | Vergangnen Februar wurde ich 20 Iare alt und wenn ich nicht | ||||||
25 | darauf rechnen darf daß mein Äuserliches mir, an sich Zuneigung | ||||||
26 | erwerben könte, so wird es doch den Eindrüken die andere Eigenschaften | ||||||
27 | veranlassen könnten nicht hinderlich seyn. Da mir kein Mensch etwas | ||||||
28 | lernen mochte indem ich immer den Lerer nach mir und mich nicht | ||||||
29 | nach [dem] Lerer richten wollte so muste ich in allen Wissenschaften Avtodidaktos | ||||||
30 | seyn. Philosophie war aber immer die Tendenz aller meiner | ||||||
31 | Kräfte und ob ich gleich beynahe keine Wissenschafft unversucht lie | ||||||
32 | so hatte ich doch nur immer die Absicht dabey meiner Philosop[h]ie die | ||||||
33 | möglichst gröste Anwendung zu verschaffen. Über schöne Künste und | ||||||
34 | Wissenschaften philosophirte ich am meisten doch gröstenteils aus einen | ||||||
35 | moralischen Gesichtspunkt. Im Zeichnen Poussiren und der theoretischen | ||||||
36 | Musik könnte ich Unterricht geben. Die Mathematik war jederzeit | ||||||
37 | eines meiner Lieblingsstudien und verschiedene fruchtlose Bemühung | ||||||
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