Kant: AA X, Briefwechsel 1786 , Seite 447 |
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01 | Gültigkeit des Postulats. Ich lies daher die Sache stehen, und hofte | ||||||
02 | immer jemand zu finden, der mir den Bau einer Brüke von dem Gedenkbaren | ||||||
03 | zum Objektivgültigen erleichterte, welches die einzige Hinderni | ||||||
04 | war die mir im Wege stand - aber ich fand niemand. | ||||||
05 | Vor einem halben Iare fieng ich nun durch den Ruff dazu erwekt | ||||||
06 | an, Ihre Kritik zu lesen. Noch kein Buch nam ich mit solcher Bitterkeit | ||||||
07 | in die Hand, an Ihnen zum Ritter zu werden war mein eifrigster | ||||||
08 | Wunsch und Gebet und ob ich gleich in Ihrer Aesthetik und Analytik | ||||||
09 | nichts fand das mir Hofnung gewährte so schöpfte ich doch bey den | ||||||
10 | Paralogismen d. r. V. neuen Mut aber auch hier ward ich aus dem | ||||||
11 | Sattel gehoben, bey den Antinomien nam ich meinen lezten Kräfte zusammen, | ||||||
12 | sonderlich gegen die zweite denn da sorgte ich für meine Lieblinge | ||||||
13 | für die Monaden - aber etwas Nachdenken auf was die | ||||||
14 | Differenzialrechnung ihre Gewisheit gründete, lerte mich den Beweis | ||||||
15 | der Antit: fassen und nun war nichts mer auszurichten die dritte schien | ||||||
16 | mir meine kosmologischen Ideen nicht zu stören den[n] ich hatte als ausgemacht | ||||||
17 | angenommen das Freyheit der Ursprung der Causalität in der Natur | ||||||
18 | wäre der in der Natur nie könte wirkend wargenommen werden als in | ||||||
19 | so ferne er den gewälten nun unveränderlichen Gesetzen der höchsten Freyheit | ||||||
20 | angemessen wäre, folglich sey in der erkennbaren Natur alles in notwendigem | ||||||
21 | Zusammenhange. Der Lösung dieser Ant: haben Sie auch | ||||||
22 | meine Freundschaft zu danken, den[n] nun wurden mir die Augen geöfnet, | ||||||
23 | das Entzüken das ich bey Lesung derselben empfand werde ich nie | ||||||
24 | vergessen, auf einmal suchte ich in Ihrem Buch nicht mehr nach Irtümern | ||||||
25 | sondern nach Wahrheit, und ich konnte nun mein inconsequentes | ||||||
26 | Denken kaum begreifen. Mein Stolz hatte eigentlichen die Schuld | ||||||
27 | meiner Verblendung, den[n] so lange der Gedanken in mir war: es seye | ||||||
28 | Kant der mir die Hoffnung meines künftigen Systems vereitelte, so | ||||||
29 | empörte sich mein Innerstes dagegen, aber so bald ich gewahr wurde, | ||||||
30 | daß, die Wahrheit Ihn mir zum Führer gewält hatte mich, aus einem | ||||||
31 | stürmischen Lande wo ich auf unsicherm Grunde mir einen Pallast erbauen | ||||||
32 | wollte um mich zu schüzen, in eine paradisische Gegend zu leiten | ||||||
33 | wo ein immerwärender Früling mich nicht nötigte, unter einem Steinhaufen | ||||||
34 | Sicherheit zu suchen, so schmiegte ich mich an Ihn und bin gewiß | ||||||
35 | er entzieht mir seine Hand nicht | ||||||
36 | Nachdem ich sie für meinen Freund erkannte, so konnte ich es | ||||||
37 | erst ertragen, sie als meinen Lerer betrachten zu müssen. Ihre Prolegommenen | ||||||
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