Kant: AA X, Briefwechsel 1786 , Seite 441 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | über diesen Punct mehr rege machen, und so eine neue | ||||||
02 | Schöpfung einer zwar schon vor Alters so betitelten, in der That aber | ||||||
03 | misverstandenen, in neuern Zeiten gar unter die Bank gerathenen | ||||||
04 | Wissenschaft nach und nach zu Stande bringen. | ||||||
05 | Sie beliebten mich zu fragen, wie bald wohl meine Metaphysik | ||||||
06 | herauskommen möchte. Ietzt getraue ich mich nicht vor zwey Iahren | ||||||
07 | ihre Erscheinung zu versprechen. Indessen wird doch, wenn ich bey | ||||||
08 | Gesundheit bleibe, etwas, was eine Zeitlang ihre Stelle vertreten kann, | ||||||
09 | nämlich eine neue sehr umgearbeitete Auflage meiner Critik, in | ||||||
10 | Kurzem (vielleicht nach einem halben Iahre) zum Vorschein kommen, | ||||||
11 | da mein Verleger, welcher über mein Vermuthen geschwinde seinen | ||||||
12 | ganzen Verlag dieses Buchs schon verkauft hat, darum dringend anhält. | ||||||
13 | Ich werde auf alle die Misdeutungen, oder auch Unverständlichkeiten, | ||||||
14 | die mir binnen der Zeit des bisherigen Umlaufs dieses Werks | ||||||
15 | bekannt geworden, Rücksicht nehmen. Dabei wird Vieles abgekürzt, | ||||||
16 | manches Neue dagegen, welches zur besseren Aufklärung dient, hinzugefügt | ||||||
17 | werden. Aenderungen im Wesentlichen werde ich nicht zu | ||||||
18 | machen haben, weil ich die Sachen lange genug durchgedacht hatte, ehe | ||||||
19 | ich sie zu Papier brachte, auch seitdem alle Sätze, die zum System gehören, | ||||||
20 | wiederholentlich gesichtet und geprüft, jederzeit aber für sich und | ||||||
21 | in ihrer Beziehung zum Ganzen bewährt gefunden habe. Weil nun, | ||||||
22 | wenn mir diese Arbeit, wie ich sie mir jetzt entwerfe, gelingt, es beinahe | ||||||
23 | in jedes Einsehenden Vermögen stehen wird, ein System der | ||||||
24 | Metaphysik darnach zu entwerfen, so werde ich darum die eigene Bearbeitung | ||||||
25 | der letzteren etwas weiter hinaussetzen, um für das System | ||||||
26 | der practischen Weltweisheit Zeit zu gewinnen, welches mit dem ersteren | ||||||
27 | vergeschwistert ist und einer ähnlichen Bearbeitung bedarf, wiewohl | ||||||
28 | die Schwierigkeit bey demselben nicht so groß ist. | ||||||
29 | Fahren Sie fort, theuerster Mann, Ihre jugendliche Kraft und | ||||||
30 | das schöne Talent, das Ihnen anvertraut ist, auf die Berichtigung der | ||||||
31 | Ansprüche der ihre Grenzen so gerne überschreitenden speculativen Vernunft | ||||||
32 | anzuwenden, hiemit aber die immer sich regende Schwärmerey, | ||||||
33 | die jene Ansprüche zu ihrem Vortheil nutzt, niederzudrücken, ohne doch | ||||||
34 | dem seelenerhebenden, theoretischen sowohl als praktischen, Gebrauche | ||||||
35 | der Vernunft Abbruch zu thun und dem faulen Scepticism ein Polster | ||||||
36 | unterzulegen. Sein Vermögen und doch zugleich die Grenze seines | ||||||
37 | Gebrauchs bestimmt erkennen, macht sicher, wacker und entschlossen, zu | ||||||
[ Seite 440 ] [ Seite 442 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |