Kant: AA X, Briefwechsel 1784 , Seite 392 |
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233. | |||||||
02 | Von Christian Gottfried Schütz. | ||||||
03 | 10. Iuli 1784. | ||||||
04 | Wohlgebohrner Herr | ||||||
05 | Verehrungswürdiger Herr Professor! | ||||||
06 | Die nähere Veranlassung dieses Schreibens lassen Sie mich dann | ||||||
07 | erst erzälen, wenn ich Ihnen vorher meinen Dank für den Unterricht, | ||||||
08 | den ich seit langer Zeit aus Ihren Schriften genossen, und besonders | ||||||
09 | für die tägliche Nahrung des Geistes, die mir Ihre Critik der reinen | ||||||
10 | Vernunft gewähret, meinen wahren, innigen und herzlichen Dank abgestattet | ||||||
11 | habe. | ||||||
12 | Noch ehe Ihre Prolegomena etc. erschienen that es mir sehr leid, | ||||||
13 | dieses vortreffliche Buch in der götting. Zeitung in ein ganz falsches | ||||||
14 | Licht gestellt zu sehn. Noch mehr aber afficirte mich die Nachricht, da | ||||||
15 | dieser wirklich sonderbare Misverstand, einem Philosophen hatte begegnen | ||||||
16 | können, der in der gerechtesten Hochachtung des Publicum | ||||||
17 | stehet. | ||||||
18 | Ich weiß nicht ob Ihnen die Geschichte dieser Recension schon bekannt | ||||||
19 | ist. Hr. Prof. Garve kam auf einer Reise durch Göttingen. | ||||||
20 | Man wollte ihm eine litterarische EhrenBezeugung dadurch machen, | ||||||
21 | daß man ihm die Recension des wichtigsten philos. Buches, das seit | ||||||
22 | langer Zeit erschienen sey, auftrug. Indessen seine Zerstreuungen, | ||||||
23 | seine Hypochondrie, die innere Schwierigkeit, und die Länge des Buchs | ||||||
24 | machten, daß er es so falsch interpretirte, und in der That ουδεν πφος | ||||||
25 | Διονυσον sagte. Hiezu kam noch, daß die Recension viel zu lang für | ||||||
26 | das längste Maas einer Recension in den G. Z. wurde, daher seine | ||||||
27 | Arbeit, nachdem er abgereiset war, durch Hn. Feder abgekürzt werden | ||||||
28 | mußte. Vielleicht ist auch dadurch die Verwirrung noch grösser geworden. | ||||||
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30 | Ob Hr. Garve schon etwas von Ihrer gerechten Provocation in | ||||||
31 | den Prolegg. weiß, ist mir nicht bekannt. Aber ich traue ihm zu, da | ||||||
32 | er so viel Edelmuth haben werde, seinen Irrthum zu gestehen; und | ||||||
33 | Ihnen also Genugthuung zu geben. | ||||||
34 | Was außer der Schwierigkeit und Sublimität der Speculation, | ||||||
35 | womit sich Ihr Werk beschäftigt, die Lesung desselben etwas erschweret, | ||||||
36 | ist der Umstand, daß es immer in einemweg fortläuft, und weder | ||||||
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