Kant: AA X, Briefwechsel 1774 , Seite 165 |
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90. | |||||||
02 | Von Iohann Caspar Lavater. | ||||||
03 | 8. April 1774. | ||||||
04 | Mein liebster Herr Profeßor, | ||||||
05 | Vielen Dank von mir, und den Anverwandten des Sulzers für | ||||||
06 | die Mühe, Sorgfalt und Treüe, die Sie in ihrer Angelegenheit bewiesen. | ||||||
07 | Diesen Augenblik geht seine Schwester von mir, und sagt, im Namen | ||||||
08 | ihrer Mutter (: denn sein Vater ist vor einigen Wochen gestorben: ob | ||||||
09 | Sie ihm diess sagen wollen? :) daß sie mit dem Rath, den Sie ihnen | ||||||
10 | geben, vollkommen zufrieden seyen; daß sie ihm sogleich 2 Carlinen | ||||||
11 | auf die Bedingung, die Sie selber rathsam finden, senden wollen; da | ||||||
12 | Sie erst Beweise seiner beßern Aufführung sehen wollten besonders | ||||||
13 | seines Fleißes ehe sie an seine Befreyung denken könnten. - Gelegentlich | ||||||
14 | melden Sie mir doch mit ein paar Zeilen, wie sich der Mensch in | ||||||
15 | einigen Monaten anlaße. | ||||||
16 | Auf Ihre Critik der reinen Vernunft bin ich u: viele meines | ||||||
17 | Vaterlands sehr begierig. Ohne Schmeicheley - Seit vielen Iahren | ||||||
18 | sind Sie mein liebster Schriftsteller, mit dem ich am meisten sympathisire; | ||||||
19 | besonders in der Metaphysick und überhaupt in der Manier u. Methode | ||||||
20 | zu denken. | ||||||
21 | und nun, weil Sie doch eine Critik der reinen Vernunft schreiben, | ||||||
22 | mögt' ich Sie fragen: Werden Sie auch folgendes drinn sagen: | ||||||
23 | Daß von der reinen Vernunft unsre Critik schwerlich entfernter | ||||||
24 | seyn könne, als sie ist. unsre Grundsätze - oder vielmehr unsre | ||||||
25 | Maxiemen, (: denn immer wird beydes verwechselt:) in allen unmathematischen | ||||||
26 | Wißenschaften - so entfernt, als unsere besondern urtheile, | ||||||
27 | die so oft mit unsern berühmtesten Maxiemen, lächerlich Kontrastieren. | ||||||
28 | daß, bis wir unsere Beobachtungen mehr auf den Menschen - fixieren, | ||||||
29 | alle unsre Weisheit Narrheit sey. | ||||||
30 | daß wir nur darum immer schrecklich irren, weil wir das außer uns | ||||||
31 | suchen, was allein in uns ist. | ||||||
32 | daß wir schlechterdings die innre Natur keiner Sache sondern bloß | ||||||
33 | Relationen derselben auf unsere Bedürfniße kennen können und sollen. | ||||||
34 | daß alle und jede Beschäfftigungen, Schriften, Meditationen, Lesungen | ||||||
35 | Thorheit und Kinderey seyen, die nicht präcise Stillungs= u: | ||||||
36 | Sättigungsmittel menschlicher Bedürfniße sind. | ||||||
37 | daß es offenbar sey, daß unter tausend Büchern, u. zehentausend | ||||||
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