Kant: AA X, Briefwechsel 1772 , Seite 131 |
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01 | möglich überging ich mit Stillschweigen. Ich hatte gesagt: die sinnliche | ||||||
02 | Vorstellungen stellen die Dinge vor, wie sie erscheinen, die | ||||||
03 | intellectuale wie sie sind. Wodurch aber werden uns denn diese | ||||||
04 | Dinge gegeben, wenn sie es nicht durch die Art werden, womit sie | ||||||
05 | uns afficiren und wenn solche intellectuale Vorstellungen auf unsrer | ||||||
06 | innern Thätigkeit beruhen, woher komt die Übereinstimmung die sie | ||||||
07 | mit Gegenständen haben sollen, die doch dadurch nicht etwa hervorgebracht | ||||||
08 | werden und die axiomata der reinen Vernunft über | ||||||
09 | diese Gegenstände, woher stimmen sie mit diesen überein, ohne da | ||||||
10 | diese Übereinstimmung von der Erfahrung hat dürfen Hülfe entlehnen. | ||||||
11 | In der Mathematic geht dieses an; weil die obiecte vor uns nur | ||||||
12 | dadurch Größen sind und als Größen können vorgestellet werden, da | ||||||
13 | wir ihre Vorstellung erzeugen können, indem wir Eines etlichemal | ||||||
14 | nehmen. Daher die Begriffe der Größen selbstthätig seyn und ihre | ||||||
15 | Grundsätze a priori können ausgemacht werden. Allein im Verhältnisse | ||||||
16 | der qvalitaeten, wie mein Verstand gäntzlich a priori sich | ||||||
17 | selbst Begriffe von Dingen bilden soll, mit denen nothwendig die | ||||||
18 | Sachen einstimmen sollen, wie er reale Grundsätze über ihre Möglichkeit | ||||||
19 | entwerfen soll, mit denen die Erfahrung getreu einstimmen muß und | ||||||
20 | die doch von ihr unabhängig sind diese Frage hinterläßt immer eine | ||||||
21 | Dunckelheit in Ansehung unsres Verstandesvermögens woher ihm | ||||||
22 | diese Einstimmung mit den Dingen selbst komme. | ||||||
23 | Plato nahm ein geistiges ehemaliges Anschauen der Gottheit zum | ||||||
24 | Urqvell der reinen Verstandesbegriffe und Grundsätze an. Mallebranche | ||||||
25 | ein noch daurendes immerwährendes Anschauen dieses Urwesens. | ||||||
26 | Verschiedene Moralisten eben dieses in Ansehung der ersten moralischen | ||||||
27 | Gesetze Crusius gewisse eingepflantzte Regeln zu urtheilen und Begriffe, | ||||||
28 | die Gott schon so wie sie seyn müssen, um mit den Dingen zu harmoniren, | ||||||
29 | in die Menschliche Seelen pflantzte, von welchen systemen man die | ||||||
30 | erstere den influxum hyperphysicum das letzte aber die harmoniam | ||||||
31 | praestabilitam intellectualem nennen könte. Allein der Deus ex | ||||||
32 | Machina ist in der Bestimmung des Ursprungs und der Gültigkeit | ||||||
33 | unsrer Erkentnisse das ungereimteste was man nur wählen kan und | ||||||
34 | hat außer dem betrüglichen Zirkel in der Schlusreihe unsrer Erkentnisse | ||||||
35 | noch das nachtheilige daß er ieder Grille oder andächtigem oder grüblerischem | ||||||
36 | Hirngespinst vorschub giebt. | ||||||
37 | Indem ich auf solche Weise die Qvellen der Intellectualen | ||||||
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