Kant: AA X, Briefwechsel 1772 , Seite 130 |
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01 | seinem gantzen Umfange und mit den wechselseitigen Beziehungen | ||||||
02 | aller Theile durchdachte, so bemerkte ich: daß mir noch etwas wesentliches | ||||||
03 | mangele, welches ich bey meinen langen metaphysischen Untersuchungen, | ||||||
04 | sowie andre, aus der Acht gelassen hatte und welches in | ||||||
05 | der That den Schlüßel zu dem gantzen Geheimnisse, der bis dahin | ||||||
06 | sich selbst noch verborgenen Metaphys:, ausmacht. Ich frug mich | ||||||
07 | nemlich selbst: auf welchem Grunde beruhet die Beziehung desienigen, | ||||||
08 | was man in uns Vorstellung nennt, auf den Gegenstand? Enthält die | ||||||
09 | Vorstellung nur die Art, wie das subiect von dem Gegenstande | ||||||
10 | afficirt wird, so ists leicht einzusehen, wie er diesem als eine Wirkung | ||||||
11 | seiner Ursache gemäß sey und wie diese Bestimmung unsres Gemüths | ||||||
12 | etwas vorstellen d. i. einen Gegenstand haben könne. Die passive | ||||||
13 | oder sinnliche Vorstellungen haben also eine begreifliche Beziehung | ||||||
14 | auf Gegenstände, und die Grundsätze, welche aus der Natur unsrer | ||||||
15 | Seele entlehnt werden, haben eine begreifliche Gültigkeit vor alle | ||||||
16 | Dinge in so fern sie Gegenstände der Sinne seyn sollen. Eben so: | ||||||
17 | wenn das, was in uns Vorstellung heißt, in Ansehung des obiects | ||||||
18 | activ wäre, d. i. wenn dadurch selbst der Gegenstand hervorgebracht | ||||||
19 | würde, wie man sich die Göttliche Erkentnisse als die Urbilder der | ||||||
20 | Sachen vorstellet, so würde auch die Conformitaet derselben mit den | ||||||
21 | obiecten verstanden werden können. Es ist also die Möglichkeit so | ||||||
22 | wohl des intellectus archetypi, auf dessen Anschauung die Sachen | ||||||
23 | selbst sich gründen, als des intellectus ectypi, der die data seiner | ||||||
24 | logischen Behandlung aus der sinnlichen Anschauung der Sachen | ||||||
25 | schöpft, zum wenigsten verständlich. Allein unser Verstand ist durch | ||||||
26 | seine Vorstellungen weder die Ursache des Gegenstandes, (außer in | ||||||
27 | der Moral von den guten Zwecken) noch der Gegenstand die Ursache | ||||||
28 | der Verstandesvorstellungen ( in sensu reali ). Die reine Verstandesbegriffe | ||||||
29 | müssen also nicht von den Empfindungen der Sinne abstrahirt | ||||||
30 | seyn, noch die Empfänglichkeit der Vorstellungen durch Sinne ausdrücken, | ||||||
31 | sondern in der Natur der Seele zwar ihre Qvellen haben, aber doch | ||||||
32 | weder in so ferne sie vom Obiect gewirkt werden, noch das obiect | ||||||
33 | selbst hervorbringen. Ich hatte mich in der dissertation damit begnügt | ||||||
34 | die Natur der intellectual Vorstellungen blos negativ auszudrüken: | ||||||
35 | daß sie nemlich nicht modificationen der Seele durch den Gegenstand | ||||||
36 | wären. Wie aber denn sonst eine Vorstellung die sich auf einen | ||||||
37 | Gegenstand bezieht ohne von ihm auf einige Weise afficirt zu seyn | ||||||
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