Kant: AA X, Briefwechsel 1770 , Seite 100 |
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01 | Kräfte haben, ein Verstand ohne Thätigkeit, kurz ohne Ihnen wäre | ||||||
02 | ich dies was ich vor vier Iahre war, das ist, ich wäre nichts. | ||||||
03 | Freylich ist die Rolle die ich noch jezo spiele sehr klein, wenn ich | ||||||
04 | meine Kentniße an u. für sich betrachte, oder sie mit vieler anderer | ||||||
05 | ihre vergleiche; allein unendlich erhaben ist sie in vergleich mit derjenigen | ||||||
06 | die ich selbst vor wenige Iahre spielte. Es mag imer der | ||||||
07 | Trost der Unwißenden bleiben, daß wir mit alle unsere Wißenschaft | ||||||
08 | nicht weiter als sie gelangen; es sey imer die Klage hypochondrischer | ||||||
09 | Gelehrte, daß unsere Kentniße unser Unglück vermehren; ich verlache | ||||||
10 | die erste u. bedaure die letzte, ich werde nie aufhören den Tag, an | ||||||
11 | welchen ich mich den Wißenschaften übergab für den glücklichsten, u. | ||||||
12 | denjenigen da Sie mein Lehrer wurden für den ersten meines Lebens | ||||||
13 | zu halten | ||||||
14 | Mein erster Besuch den ich abstatete war bey HE. Mendelsohn, | ||||||
15 | wir unterhielten uns vier ganze Stunden über einige Materien in | ||||||
16 | Ihre dissertation. Wir haben eine sehr verschiedene Philosophie, er | ||||||
17 | folgt Baumgarten buchstäblich, u. er schien mir unterschiedliche mal | ||||||
18 | nicht gar undeutlich zu verstehen zu geben, daß er mir in einige | ||||||
19 | Stücke darum nicht beypflichtet, weil es mit Baumgartens Meynungen | ||||||
20 | nicht übereinstimt. Die Dissertation gefält ihm über die maßen | ||||||
21 | schön, und er bedauert nur daß Sie nicht etwas weitläuftiger waren. | ||||||
22 | Er bewundert die Scharfsinigkeit die in diesem Satze ist, daß, wenn | ||||||
23 | in einem Satze das Praedickat sensual ist, es von dem Subieckt nur | ||||||
24 | subiecktiv gilt, hingegen wenn es intellectual ist. u.s.w. Desgleichen | ||||||
25 | die Entwicklung des infiniti, die Auflösung von Kästners Aufgabe. | ||||||
26 | Er wird mit nächstens etwas heraus geben, worin, wie er sagt, es | ||||||
27 | scheinen wird daß er die ganze erste section bloß abgeschrieben hätte, | ||||||
28 | kurz er hält die ganze Dissert. für ein vortrefliches Werk, nur daß er | ||||||
29 | einige Stücke darin noch nicht völlig zu giebt, dahin gehört, daß man | ||||||
30 | bey der Erklärung des Raums sich des Worts simul bedienen muß | ||||||
31 | noch bey der Zeit, des Wortes post, Auch im Satz des Widerspruchs | ||||||
32 | darf seiner Meynung nach nicht simul gesetzt werden, ich werde ins | ||||||
33 | künftige Gelegenheit haben, mehr mit ihm davon zu sprechen, u. ich | ||||||
34 | werde nie unterlaßen meinem theuren Lehrer Rechenschafft davon abzulegen. | ||||||
35 | Es ist dieses Mannes liebste Unterhaltung, Metaphis[ische] | ||||||
36 | Materien zu entwickeln, u. die Helfte der Zeit welche ich hier bin, | ||||||
37 | habe ich bey ihm zugebracht, Er wird auch an Sie, selbst schreiben, | ||||||
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