Kant: AA X, Briefwechsel 1759 , Seite 012 |
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| 01 | Schicken sich denn die Gesetze der Ueberwundenen für die Eroberer? | ||||||
| 02 | Der Unterthan ist durch selbige unterdrückt worden? Gönnst du ein | ||||||
| 03 | gleiches Schicksal deinen Mitbürgern? | ||||||
| 04 | Abraham ist unser Vater - - Wir arbeiten nach Peters Entwurf? | ||||||
| 05 | wie der Magistrat eines kleinen Freystaats in Italien Commercium | ||||||
| 06 | und Publicum lallen gelernt hat - Thut eures Vaters Werke, | ||||||
| 07 | versteht das was ihr redet, wendet eure Erkenntnis recht an und | ||||||
| 08 | setzt eure Ach! am rechten Ort. Durch Wahrheiten thut man mehr | ||||||
| 09 | Schaden als durch Irrthümern, wenn wir einen wiedersinnigen Gebrauch von | ||||||
| 10 | den ersten machen, und die letzten durch routine oder Glück zu modificiren | ||||||
| 11 | wißen. Wie mancher Orthodox zum Teufel fahren kan, trotz | ||||||
| 12 | der Wahrheit, und mancher Ketzer in den Himmel kommt, trotz dem Bann | ||||||
| 13 | der herrschenden Kirche oder des Publici. | ||||||
| 14 | In wie weit der Mensch in die Ordnung der Welt würken kann, | ||||||
| 15 | ist eine Aufgabe für Sie; an die man sich aber nicht eher wagen | ||||||
| 16 | muß, biß man versteht, wie unsere Seele in das System der kleinen | ||||||
| 17 | Welt würket. Ob nicht harmonia praestabilita wenigstens ein glücklicher | ||||||
| 18 | Zeichen dieses Wunders ist, als influxus physicus den Begrif | ||||||
| 19 | davon ausdrückt, mögen Sie entscheiden. Unterdeßen ist es mir lieb, | ||||||
| 20 | daß ich daraus abnehmen kann, daß die Calvinische Kirche unsern | ||||||
| 21 | Freund so wenig zu ihrem Anhänger zu machen im stande ist, als die | ||||||
| 22 | lutherische | ||||||
| 23 | Diese Einfälle sind nichts als Äpfel, die ich wie Galathe werfe | ||||||
| 24 | um ihren Liebhaber zu necken. Um Wahrheit ist mir so wenig als | ||||||
| 25 | Ihrem Freunde zu thun; ich glaube wie Socrates alles, was der | ||||||
| 26 | andere glaubt - und geh nun darauf aus, andere in ihrem Glauben | ||||||
| 27 | zu stöhren. Dies muste der weise Mann thun, weil er mit Sophisten | ||||||
| 28 | umgeben war, und Priestern, deren gesunde Vernunft und gute | ||||||
| 29 | Werke in der Einbildung bestanden. Es giebt eingebildte gesunde | ||||||
| 30 | und ehrliche Leute, wie es malades imaginaires giebt. | ||||||
| 31 | Wenn Sie aus den Recensionen des Herrn B. und meinem | ||||||
| 32 | Schreiben mich beurtheilen wollen: so ist dies ein so unphilosophisch | ||||||
| 33 | Urtheil als Luther aus einer Brochure an den Herzog von Wolfenbüttel | ||||||
| 34 | von Kopf zu Fuß übersehen wollen. | ||||||
| 35 | Der eines andern Vernunft mehr glaubt als seiner eigenen; | ||||||
| 36 | hört auf ein Mensch zu seyn und hat den ersten Rang unter d. seruum | ||||||
| 37 | pecus der Nachahmer. Auch das gröste menschliche genie sollte | ||||||
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