Kant: AA X, Briefwechsel 1759 , Seite 011 |
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Text (Kant):
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| 01 | aus meinen Worten und Handlungen nicht klug werden kann. Dies | ||||||
| 02 | muß Ihnen als eine Prahlerey vorkommen, und geht gleichwol nach | ||||||
| 03 | dem Lauf der Dinge ganz natürlich zu. Ich bin noch zu bescheiden, | ||||||
| 04 | und kann ganz sicher gegen einen staarichten mit meinen triefenden | ||||||
| 05 | rothen Augen prahlen. | ||||||
| 06 | Gegen die Arbeit und Mühe, die ich mir gemacht, würde es also | ||||||
| 07 | eine Kleinigkeit seyn, mich loßgesprochen zu sehen. Aber unschuldig | ||||||
| 08 | zum Giftbecher verdammt zu werden! so denken alle Xantippen, alle | ||||||
| 09 | Sophisten - Socrates umgekehrt; weil ihm mehr um sein Gewißen | ||||||
| 10 | der Unschuld, als den Preiß derselben, die Erhaltung seines Lebens, | ||||||
| 11 | zu thun war. | ||||||
| 12 | An einer solchen Apologie mag ich also nicht denken. Der Gott, | ||||||
| 13 | den ich diene, und den Spötter für Wolken, für Nebel, für vapeurs | ||||||
| 14 | und Hypochondrie ansehen wird nicht mit Bocks= und Kälberblut versöhnt; | ||||||
| 15 | sonst wollte ich bald mit dem Beweis fertig werden, daß die | ||||||
| 16 | Vernunft und der Witz Ihres Freundes wie meine, ein geil Kalb | ||||||
| 17 | und sein gutes Herz mit seinen edlen Absichten ein Widder mit | ||||||
| 18 | Hörnern ist. | ||||||
| 19 | Was Ihr Freund nicht glaubt, geht mich so wenig an, als ihn, | ||||||
| 20 | was ich glaube. Hierüber sind wir also geschiedene Leute, und die Rede | ||||||
| 21 | bleibt bloß von Geschäften. Eine ganze Welt von schönen und tiefsinnigen | ||||||
| 22 | Geistern, wenn sie lauter Morgensterne und Lucifers wären, kan | ||||||
| 23 | hierüber weder Richter noch Kenner seyn, und ist nicht das Publicum | ||||||
| 24 | eines lyrischen Dichters, der über den Beyfall seiner Epopee lächelt, | ||||||
| 25 | und zu ihrem Tadel still schweigt. | ||||||
| 26 | Peter der Große war vom Olymp eingeweyht, die schöne Natur | ||||||
| 27 | anderer Nationen in einigen Kleinigkeiten an seinem Volk nachzuahmen. | ||||||
| 28 | Wird man aber durch ein geschoren Kinn jünger? Ein bloß sinnlich | ||||||
| 29 | Urtheil ist keine Wahrheit. | ||||||
| 30 | Der Unterthan eines despotischen Staats, sagt Montesquieu, muß | ||||||
| 31 | nicht wißen was gut und böse ist. Fürchten soll er sich, als wenn | ||||||
| 32 | sein Fürst ein Gott wäre, der Leib und Seele stürzen könnte in die | ||||||
| 33 | Hölle. Hat er Einsichten, so ist er ein unglückl. Unterthan für seinen | ||||||
| 34 | Staat; hat er Tugend, so ist er ein Thor sich selbige merken zu laßen. | ||||||
| 35 | Ein Patricius einer griechischen Republick durfte in keiner Verbindung | ||||||
| 36 | mit dem Persischen Hofe stehen, wenn er nicht als ein Verräther | ||||||
| 37 | seines Vaterlandes verwiesen werden sollte. | ||||||
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