Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 494

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 einsehen, daß ein Gesetz der Pflicht vorhanden sei, daß nicht die Behaglichkeit,      
  02 der Nutzen und dergl. sie bestimmen solle, sondern etwas Allgemeines,      
  03 das sich nicht nach den Launen der Menschen richtet. Der      
  04 Lehrer selbst aber muß sich diesen Begriff machen.      
           
  05 Zuvörderst muß man alles der Natur, nachher diese selbst aber Gott      
  06 zuschreiben, wie z. E. erstlich Alles auf Erhaltung der Arten und deren      
  07 Gleichgewicht angelegt worden, aber von weitem zugleich auch auf den      
  08 Menschen, damit er sich selbst glücklich mache.      
           
  09 Der Begriff von Gott dürfte am besten zuerst analogisch mit dem      
  10 des Vaters, unter dessen Pflege wir sind, deutlich gemacht werden, wobei      
  11 sich dann sehr vorteilhaft auf die Einigkeit der Menschen als in einer      
  12 Familie hinweisen läßt.      
           
  13 Was ist denn aber Religion? Religion ist das Gesetz in uns, in so      
  14 fern es durch einen Gesetzgeber und Richter über uns Nachdruck erhält;      
  15 sie ist eine auf die Erkenntniß Gottes angewandte Moral. Verbindet man      
  16 Religion nicht mit Moralität, so wird Religion blos zur Gunstbewerbung.      
  17 Lobpreisungen, Gebete, Kirchengehen sollen nur dem Menschen neue Stärke,      
  18 neuen Muth zur Besserung geben, oder der Ausdruck eines von der Pflichtvorstellung      
  19 beseelten Herzens sein. Sie sind nur Vorbereitungen zu guten      
  20 Werken, nicht aber selbst gute Werke, und man kann dem höchsten Wesen      
  21 nicht anders gefällig werden, als dadurch daß man ein besserer Mensch      
  22 werde.      
           
  23 Zuerst muß man bei dem Kinde von dem Gesetze, das es in sich hat,      
  24 anfangen. Der Mensch ist sich selbst verachtenswürdig, wenn er lasterhaft      
  25 ist. Dieses ist in ihm selbst gegründet, und er ist es nicht deswegen      
  26 erst, weil Gott das Böse verboten hat. Denn es ist nicht nöthig, daß der      
  27 Gesetzgeber zugleich auch der Urheber des Gesetzes sei. So kann ein Fürst      
  28 in seinem Lande das Stehlen verbieten, ohne deswegen der Urheber des      
  29 Verbotes des Diebstahles genannt werden zu können. Hieraus lernt der      
  30 Mensch einsehen, daß sein Wohlverhalten allein ihn der Glückseligkeit      
  31 würdig mache. Das göttliche Gesetz muß zugleich als Naturgesetz erscheinen,      
  32 denn es ist nicht willkürlich. Daher gehört Religion zu aller Moralität.      
           
  34 Man muß aber nicht von der Theologie anfangen. Die Religion,      
  35 die blos auf Theologie gebaut ist, kann niemals etwas Moralisches enthalten.      
  36 Man wird bei ihr nur Furcht auf der einen und lohnsüchtige      
  37 Absichten und Gesinnungen auf der andern Seite haben, und dies giebt      
           
     

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