Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 493 |
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| 01 | mache. Sie müssen lernen, die Verabscheuung des Ekels und der Ungereimtheit | ||||||
| 02 | an die Stelle der des Hasses zu setzen; innern Abscheu statt | ||||||
| 03 | des äußern vor Menschen und der göttlichen Strafen, Selbstschätzung und | ||||||
| 04 | innere Würde statt der Meinung der Menschen, - innern Werth der | ||||||
| 05 | Handlung und des Thuns statt der Worte und Gemüthsbewegung, | ||||||
| 06 | Verstand statt des Gefühles - und Fröhlichkeit und Frömmigkeit bei | ||||||
| 07 | guter Laune statt der grämischen, schüchternen und finstern Andacht eintreten | ||||||
| 08 | zu lassen. | ||||||
| 09 | Vor allen Dingen aber muß man sie auch davor bewahren, daß sie | ||||||
| 10 | die merita fortunae nie zu hoch anschlagen. | ||||||
| 11 | Was die Erziehung der Kinder in Absicht der Religion anbetrifft, so | ||||||
| 12 | ist zuerst die Frage: ob es thunlich sei, frühe den Kindern Religionsbegriffe | ||||||
| 13 | beizubringen. Hierüber ist sehr viel in der Pädagogik gestritten | ||||||
| 14 | worden. Religionsbegriffe setzen allemal einige Theologie voraus. Sollte | ||||||
| 15 | nun der Jugend, die die Welt, die sich selbst noch nicht kennt, wohl eine | ||||||
| 16 | Theologie können beigebracht werden? Sollte die Jugend, die die Pflicht | ||||||
| 17 | noch nicht kennt, eine unmittelbare Pflicht gegen Gott zu begreifen im | ||||||
| 18 | Stande sein? So viel ist gewiß, daß, wenn es thunlich wäre, daß Kinder | ||||||
| 19 | keine Handlungen der Verehrung des höchsten Wesens mit ansähen, selbst | ||||||
| 20 | nicht einmal den Namen Gottes hörten, es der Ordnung der Dinge angemessen | ||||||
| 21 | wäre, sie erst auf die Zwecke und auf das, was dem Menschen | ||||||
| 22 | ziemt, zu führen, ihre Beurtheilungskraft zu schärfen, sie von der Ordnung | ||||||
| 23 | und Schönheit der Naturwerke zu unterrichten, dann noch eine erweiterte | ||||||
| 24 | Kenntniß des Weltgebäudes hinzuzufügen und hierauf erst den Begriff | ||||||
| 25 | eines höchsten Wesens, eines Gesetzgebers, ihnen zu eröffnen. Weil dies | ||||||
| 26 | aber nach unserer jetzigen Lage nicht möglich ist, so würde, wenn man ihnen | ||||||
| 27 | erst spät von Gott etwas beibringen wollte, sie ihn aber doch nennen | ||||||
| 28 | hörten und sogenannte Diensterweisungen gegen ihn mit ansähen, dieses | ||||||
| 29 | entweder Gleichgültigkeit, oder verkehrte Begriffe bei ihnen hervorbringen, | ||||||
| 30 | z. E. eine Furcht vor der Macht desselben. Da es nun aber zu besorgen | ||||||
| 31 | ist, daß sich diese in die Phantasie der Kinder einnisten möchte: so muß | ||||||
| 32 | man, um sie zu vermeiden, ihnen frühe Religionsbegriffe beizubringen | ||||||
| 33 | suchen. Doch muß dies nicht Gedächtnißwerk, bloße Nachahmung und | ||||||
| 34 | alleiniges Affenwerk sein, sondern der Weg, den man wählt, muß immer | ||||||
| 35 | der Natur angemessen sein. Kinder werden, auch ohne abstracte Begriffe | ||||||
| 36 | von Pflicht, von Verbindlichkeiten, von Wohl= oder Übelverhalten zu haben, | ||||||
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