Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 488 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | Sommer aber, daß es sich so gut schlafen lasse, und der Schlaf ihm angenehm | ||||||
02 | sei, und so seinen Vorsatz immer von einem Tage zum andern | ||||||
03 | verschiebt: so traut er sich am Ende selbst nicht mehr. | ||||||
04 | Das, was wider die Moral ist, wird von solchen Vorsätzen ausgenommen. | ||||||
05 | Bei einem bösen Menschen ist der Charakter sehr schlimm, | ||||||
06 | aber hier heißt er auch schon Hartnäckigkeit, obgleich es doch gefällt, wenn | ||||||
07 | er seine Vorsätze ausführt und standhaft ist, wenn es gleich besser wäre, | ||||||
08 | daß er sich so im Guten zeigte. | ||||||
09 | Von Jemand, der die Ausübung seiner Vorsätze immer verschiebt, | ||||||
10 | ist nicht viel zu halten. Die sogenannte künftige Bekehrung ist von der | ||||||
11 | Art. Denn der Mensch, der immer lasterhaft gelebt hat und in einem | ||||||
12 | Augenblicke bekehrt werden will, kann unmöglich dahin gelangen, indem | ||||||
13 | doch nicht sogleich ein Wunder geschehen kann, daß er auf einmal das | ||||||
14 | werde, was jener ist, der sein ganzes Leben gut angewandt und immer | ||||||
15 | rechtschaffen gedacht hat. Eben daher ist denn auch nichts von Wallfahrten, | ||||||
16 | Kasteiungen und Fasten zu erwarten; denn es läßt sich nicht absehen, | ||||||
17 | was Wallfahrten und andere Gebräuche dazu beitragen können, um | ||||||
18 | aus einem lasterhaften auf der Stelle einen edlen Menschen zu machen. | ||||||
19 | Was soll es zur Rechtschaffenheit und Besserung, wenn man am Tage | ||||||
20 | fastet und in der Nacht noch einmal soviel dafür genießt, oder seinem | ||||||
21 | Körper eine Büßung auflegt, die zur Veränderung der Seele nichts beitragen | ||||||
22 | kann? | ||||||
23 | Um in den Kindern einen moralischen Charakter zu begründen, müssen | ||||||
24 | wir folgendes merken: | ||||||
25 | Man muß ihnen die Pflichten, die sie zu erfüllen haben, so viel als | ||||||
26 | möglich durch Beispiele und Anordnungen beibringen. Die Pflichten, die | ||||||
27 | das Kind zu thun hat, sind doch nur gewöhnliche Pflichten gegen sich selbst | ||||||
28 | und gegen Andere. Diese Pflichten müssen also aus der Natur der Sache | ||||||
29 | gezogen werden. Wir haben hier daher näher zu betrachten: | ||||||
30 | a) die Pflichten gegen sich selbst. Diese bestehen nicht darin, da | ||||||
31 | man sich eine herrliche Kleidung anschaffe, prächtige Mahlzeiten halte | ||||||
32 | usw., obgleich Alles reinlich sein muß; nicht darin, daß man seine Begierden | ||||||
33 | und Neigungen zu befriedigen suche, denn man muß im Gegentheile | ||||||
34 | sehr mäßig und enthaltsam sein; sondern, daß der Mensch in seinem | ||||||
35 | Innern eine gewisse Würde habe, die ihn vor allen Geschöpfen adelt, und | ||||||
36 | seine Pflicht ist es, diese Würde der Menschheit in seiner eignen Person | ||||||
37 | nicht zu verleugnen. | ||||||
[ Seite 487 ] [ Seite 489 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |