Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 487 |
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01 | muß sich in Betreff seiner Neigungen so gewöhnen, daß sie nicht zu Leidenschaften | ||||||
02 | werden, sondern er muß lernen, etwas zu entbehren, wenn es ihm | ||||||
03 | abgeschlagen wird. Sustine heißt: erdulde und gewöhne dich zu ertragen! | ||||||
04 | Es wird Muth und Neigung erfordert, wenn man etwas entbehren | ||||||
05 | lernen will. Man muß abschlägige Antworten, Widerstand u.s.w. gewohnt | ||||||
06 | werden. | ||||||
07 | Zum Temperamente gehört Sympathie. Eine sehnsuchtvolle, schmachtende | ||||||
08 | Theilnehmung muß bei Kindern verhütet werden. Theilnehmung | ||||||
09 | ist wirklich Empfindsamkeit; sie stimmt nur mit einem solchen Charakter | ||||||
10 | überein, der empfindsam ist. Sie ist noch vom Mitleiden unterschieden | ||||||
11 | und ein Übel, das darin besteht, eine Sache blos zu bejammern. Man | ||||||
12 | sollte den Kindern ein Taschengeld geben, von dem sie Nothleidenden Gutes | ||||||
13 | thun könnten, da würde man sehen, ob sie mitleidig sind oder nicht; wenn | ||||||
14 | sie aber immer nur von dem Gelde ihrer Eltern freigebig sind, so fällt | ||||||
15 | dies weg. | ||||||
16 | Der Ausspruch: festina lente , deutet eine immerwährende Thätigkeit | ||||||
17 | an, bei der man sehr eilen muß, damit man viel lerne, d. h. festina. Man | ||||||
18 | muß aber auch mit Grund lernen und also Zeit bei jedem gebrauchen, | ||||||
19 | d. h. lente . Es ist nun die Frage, welches vorzuziehen sei, ob man einen | ||||||
20 | großen Umfang von Kenntnissen haben soll, oder nur einen kleineren, der | ||||||
21 | aber gründlich ist. Es ist besser wenig, aber dieses Wenige gründlich zu | ||||||
22 | wissen, als viel und obenhin, denn endlich wird man doch das Seichte in | ||||||
23 | diesem letztern Falle gewahr. Aber das Kind weiß ja nicht, in welche | ||||||
24 | Umstände es kommen kann, um diese oder jene Kenntnisse zu brauchen, | ||||||
25 | und daher ist es wohl am besten, daß es von Allem etwas Gründliches | ||||||
26 | wisse, denn sonst betrügt und verblendet es Andere mit seinen obenhin gelernten | ||||||
27 | Kenntnissen. | ||||||
28 | Das letzte ist die Gründung des Charakters. Dieser besteht in dem | ||||||
29 | festen Vorsatze, etwas thun zu wollen, und dann auch in der wirklichen | ||||||
30 | Ausübung desselben. Vir propositi tenax , sagt Horaz, und das ist ein | ||||||
31 | guter Charakter! z. E. wenn ich Jemanden etwas versprochen habe, so | ||||||
32 | muß ich es auch halten, gesetzt gleich, daß es mir Schaden brächte. Denn | ||||||
33 | ein Mann, der sich etwas vorsetzt, es aber nicht thut, kann sich selbst nicht | ||||||
34 | mehr trauen, z. E. wenn Jemand es sich vornimmt, immer frühe aufzustehn, | ||||||
35 | um zu studiren, oder dies oder jenes zu thun, oder um einen | ||||||
36 | Spaziergang zu machen, und sich im Frühlinge nun damit entschuldigt, | ||||||
37 | daß es noch des Morgens zu kalt sei, und es ihm schaden könne; im | ||||||
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