Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 477

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Die Gemüthskräfte werden am besten dadurch cultivirt, wenn man      
  02 das Alles selbst thut, was man leisten will, z. E. wenn man die grammatische      
  03 Regel, die man gelernt hat, gleich in Ausübung bringt. Man versteht      
  04 eine Landkarte am besten, wenn man sie selbst verfertigen kann. Das      
  05 Verstehen hat zum größten Hülfsmittel das Hervorbringen. Man lernt      
  06 das am gründlichsten und behält das am besten, was man gleichsam aus      
  07 sich selbst lernt. Nur wenige Menschen indessen sind das im Stande.      
  08 Man nennt sie (αyτοδιδακτοι) Autodidakten.      
           
  09 Bei der Ausbildung der Vernunft muß man sokratisch Verfahren.      
  10 Sokrates nämlich, der sich die Hebamme der Kenntnisse seiner Zuhörer      
  11 nannte, giebt in seinen Dialogen, die uns Plato gewissermaßen aufbehalten      
  12 hat, Beispiele, wie man selbst bei alten Leuten manches aus ihrer      
  13 eigenen Vernunft hervorziehen kann. Vernunft braucht in vielen Stücken      
  14 nicht von Kindern ausgeübt zu werden. Sie müssen nicht über Alles vernünfteln.      
  15 Von dem, was sie wohlgezogen machen soll, brauchen sie nicht      
  16 die Gründe zu wissen; sobald es aber die Pflicht betrifft, so müssen ihnen      
  17 dieselben bekannt gemacht werden. Doch muß man überhaupt dahin sehen,      
  18 daß man nicht Vernunfterkenntnisse in sie hineintrage, sondern dieselben      
  19 aus ihnen heraushole. Die sokratische Methode sollte bei der katechetischen      
  20 die Regel ausmachen. Sie ist freilich etwas langsam, und es ist schwer,      
  21 es so einzurichten, daß, indem man aus dem Einen die Erkenntnisse herausholt,      
  22 die Andern auch etwas dabei lernen. Die mechanisch=katechetische      
  23 Methode ist bei manchen Wissenschaften auch gut; z. E. bei dem Vortrage      
  24 der geoffenbarten Religion. Bei der allgemeinen Religion hingegen muß      
  25 man die sokratische Methode benutzen. In Ansehung dessen nämlich, was      
  26 historisch gelernt werden muß, empfiehlt sich die mechanisch=katechetische      
  27 Methode vorzüglich.      
           
  28 Es gehört hieher auch die Bildung des Gefühls der Lust oder Unlust.      
  29 Sie muß negativ sein, das Gefühl selbst aber nicht verzärtelt werden.      
  30 Hang zur Gemächlichkeit ist für den Menschen schlimmer, als alle Übel      
  31 des Lebens. Es ist daher äußerst wichtig, daß Kinder von Jugend auf      
  32 arbeiten lernen. Kinder, wenn sie nur nicht schon verzärtelt sind, lieben      
  33 wirklich Vergnügungen, die mit Strapazen verknüpft, Beschäftigungen,      
  34 zu denen Kräfte erforderlich sind. In Ansehung dessen, was sie genießen,      
  35 muß man sie nicht leckerhaft machen und sie nicht wählen lassen. Gemeinhin      
  36 verziehen die Mütter ihre Kinder hierin und verzärteln sie überhaupt. Und      
  37 doch bemerkt man, daß die Kinder, vorzüglich die Söhne, die Väter mehr      
           
     

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