Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 478

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 als die Mütter lieben. Dies kommt wohl daher, die Mütter lassen sie gar      
  02 nicht herumspringen, herumlaufen und dergl., aus Furcht, daß sie Schaden      
  03 nehmen möchten. Der Vater, der sie schilt, auch wohl schlägt, wenn sie      
  04 ungezogen gewesen sind, führt sie dagegen auch bisweilen ins Feld und      
  05 läßt sie da recht jungenmäßig herumlaufen, spielen und fröhlich sein.*)      
           
  06 Man glaubt, die Geduld der Kinder dadurch zu üben, daß man sie      
  07 lange auf etwas warten läßt. Dies dürfte indessen eben nicht nöthig sein.      
  08 Wohl aber brauchen sie Geduld in Krankheiten u. dergl. Die Geduld ist zwiefach.      
  09 Sie besteht entweder darin, daß man alle Hoffnung aufgiebt, oder      
  10 darin, daß man neuen Muth faßt. Das erstere ist nicht nöthig, wenn man      
  11 immer nur das Mögliche verlangt, und das letztere darf man immer, wenn      
  12 man nur, was recht ist, begehrt. In Krankheiten aber verschlimmert die      
  13 Hoffnungslosigkeit eben so viel, als der gute Muth zu verbessern im Stande      
  14 ist. Wer diesen aber in Beziehung auf seinen physischen oder moralischen      
  15 Zustand noch zu fassen vermag, der giebt auch die Hoffnung nicht auf.      
           
  16 Kinder müssen auch nicht schüchtern gemacht werden. Das geschieht      
  17 vornehmlich dadurch, wenn man gegen sie mit Scheltworten ausfährt und      
  18 sie öfter beschämt. Hierher gehört besonders der Zuruf vieler Eltern:      
  19 Pfui, schäme dich! Es ist gar nicht abzusehen, worüber die Kinder sich      
  20 eigentlich sollten zu schämen haben, wenn sie z. E. den Finger in den      
  21 Mund stecken und dergl. Es ist nicht Gebrauch, nicht Sitte! das kann      
  22 man ihnen sagen, aber nie muß man ihnen ein "Pfui, schäme dich!" zurufen,      
  23 als nur in dem Falle, daß sie lügen. Die Natur hat dem Menschen      
  24 die Schamhaftigkeit gegeben, damit er sich, sobald er lügt, verrathe. Reden      
  25 daher Eltern nie den Kindern von Scham vor, als wenn sie lügen, so behalten      
  26 sie diese Schamröthe in Betreff des Lügens für ihre Lebenszeit.      
  27 Wenn sie aber ohne Aufhören beschämt werden: so gründet das eine      
  28 Schüchternheit, die ihnen weiterhin unabänderlich anklebt.      
           
  29 Der Wille der Kinder muß, wie schon oben gesagt, nicht gebrochen,      
  30 sondern nur in der Art gelenkt werden, daß er den natürlichen Hindernissen      
           
    *) Ein näherer Grund liegt meiner Meinung nach darin, daß die Väter seltener mit ihren Kindern tändeln, daher die Beweise ihrer Liebe auch einen größern Werth erhalten. Zudem halten Väter auch meistens mehr auf die Befolgung ihrer Gebote, zeigen weniger Schwäche in der Nachgiebigkeit, und so entsteht eine gewisse Achtung, die die festeste Grundlage des Zutrauens und der Liebe ist. Dies setzt aber schon ein gewisses Aufmerken voraus, und eben daher hängen denn auch die Kinder in den allerersten Jahren und namentlich die Söhne mehr an der Mutter. A. d. H.      
           
     

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