Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 471 |
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01 | vernünftige Männer oft stundenlang zu sitzen und Karten zu mischen im | ||||||
02 | Stande sind. Da ergiebt es sich, daß die Menschen nicht so leicht aufhören | ||||||
03 | Kinder zu sein. Denn was ist jenes Spiel besser, als das Ballspiel | ||||||
04 | der Kinder? Nicht daß die Erwachsenen gerade auf dem Stocke reiten, | ||||||
05 | aber sie reiten doch auf andern Steckenpferden. | ||||||
06 | Es ist von der größten Wichtigkeit, daß Kinder arbeiten lernen. | ||||||
07 | Der Mensch ist das einzige Thier, das arbeiten muß. Durch viele Vorbereitungen | ||||||
08 | muß er erst dahin kommen, daß er etwas zu seinem Unterhalte | ||||||
09 | genießen kann. Die Frage: ob der Himmel nicht gütiger für uns | ||||||
10 | würde gesorgt haben, wenn er uns Alles schon bereitet hätte vorfinden | ||||||
11 | lassen, so daß wir gar nicht arbeiten dürften, ist gewiß mit Nein zu beantworten: | ||||||
12 | denn der Mensch verlangt Geschäfte, auch solche, die einen gewissen | ||||||
13 | Zwang mit sich führen.*) Eben so falsch ist die Vorstellung, daß, | ||||||
14 | wenn Adam und Eva nur im Paradiese geblieben wären, sie da nichts | ||||||
15 | würden gethan, als zusammengesessen, arkadische Lieder gesungen und die | ||||||
16 | Schönheit der Natur betrachtet haben. Die Langeweile würde sie gewiß | ||||||
17 | eben so gut als andere Menschen in einer ähnlichen Lage gemartert haben. | ||||||
18 | Der Mensch muß auf eine solche Weise occupirt sein, daß er mit dem | ||||||
19 | Zwecke, den er vor Augen hat, in der Art erfüllt ist, daß er sich gar nicht | ||||||
20 | fühlt, und die beste Ruhe für ihn ist die nach der Arbeit. Das Kind | ||||||
21 | muß also zum Arbeiten gewöhnt werden. Und wo anders soll die Neigung | ||||||
*) Den meisten Menschen thut unfehlbar die bestimmte Beschäftigung eines Gewerbes oder Amtes sehr Noth, und es fehlt nicht an Beispielen, daß Menschen, die, wie man zu sagen pflegt, sich zur Ruhe setzten, eben so unzufrieden, ja, wohl gar kränklich wurden, als sie vorher bei ihrer bestimmten Arbeit zufrieden und gesund waren, und das nicht aus Mangel an Geschäften, sondern weil, was sie nun zu thun hatten, keine bestimmte Arbeit mehr war, indem Alles blos von ihrem Belieben abhängt. Der Grund davon scheint mir darin zu liegen, daß eine bestimmte Amts= oder Gewerbearbeit uns in mehrere Verhältnisse setzt, also auch in unser Leben mehrere Abwechselung bringt, die, sei sie angenehm oder unangenehm, - wenn sie das letztere nur nicht in einem überwiegenden Grade ist - unsre Kräfte stärkt und dadurch unsre Munterkeit wie unsern guten Willen mehr aufrecht erhält. Zudem leistet man gemeinhin auch mehr, wenn man etwas leisten muß; da kann man am Ende jedes Tages dann die Rechnung mit sich abschließen, daß man nicht unthätig und unnütz gelebt habe, und dieser Gedanke hat etwas überaus Ermunterndes und, daß ich so sage, Roborirendes. Wer kein eigentliches Gewerbe oder Amt hat, kann freilich Alles thun, wozu er Kräfte und Willen hat; aber eben daher wird ihm die Wahl so schwer, und der Tag ist oft dahin gegangen, bevor er sich für diese oder jene Arbeit entschieden hat. A. d. H. | |||||||
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