Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 470 |
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| 01 | ausgebildeten Geist haben, aber dabei schlecht moralisch cultivirt, doch | ||||||
| 02 | dabei ein böses Geschöpf sein. | ||||||
| 03 | Die physische Cultur aber muß von der praktischen unterschieden | ||||||
| 04 | werden, welche letztere pragmatisch oder moralisch ist. Im letztern | ||||||
| 05 | Falle ist es die Moralisirung, nicht Cultivirung. | ||||||
| 06 | Die physische Cultur des Geistes theilen wir ein in die freie und | ||||||
| 07 | die scholastische. Die freie ist gleichsam nur ein Spiel, die scholastische | ||||||
| 08 | dagegen macht ein Geschäft aus; die freie ist die, die immer | ||||||
| 09 | bei dem Zöglinge beobachtet werden muß; bei der scholastischen aber | ||||||
| 10 | wird der Zögling wie unter dem Zwange betrachtet. Man kann beschäftigt | ||||||
| 11 | sein im Spiele, das nennt man in der Muße beschäftigt sein; aber man | ||||||
| 12 | kann auch beschäftigt sein im Zwange, und das nennt man Arbeiten. | ||||||
| 13 | Die scholastische Bildung soll für das Kind Arbeit, die freie soll Spiel sein. | ||||||
| 14 | Man hat verschiedene Erziehungsplane entworfen, um, welches auch | ||||||
| 15 | sehr löblich ist, zu versuchen, welche Methode bei der Erziehung die beste | ||||||
| 16 | sei. Man ist unter anderm auch darauf verfallen, die Kinder alles wie | ||||||
| 17 | im Spiele lernen zu lassen. Lichtenberg hält sich in einem Stücke des | ||||||
| 18 | Göttingischen Magazins über den Wahn auf, nach welchem man aus den | ||||||
| 19 | Knaben, die doch schon frühzeitig zu Geschäften gewöhnt werden sollten, | ||||||
| 20 | weil sie einmal in ein geschäftiges Leben eintreten müssen, alles spielweise | ||||||
| 21 | zu machen sucht. Dies thut eine ganz verkehrte Wirkung. Das Kind | ||||||
| 22 | soll spielen, es soll Erholungsstunden haben, aber es muß auch arbeiten | ||||||
| 23 | lernen. Die Cultur seiner Geschicklichkeit ist freilich aber auch gut, wie | ||||||
| 24 | die Cultur des Geistes, aber beide Arten der Cultur müssen zu verschiedenen | ||||||
| 25 | Zeiten ausgeübt werden. Es ist ohnedies schon ein besonderes Unglück | ||||||
| 26 | für den Menschen, daß er so sehr zur Unthätigkeit geneigt ist. Je mehr | ||||||
| 27 | ein Mensch gefaullenzt hat, desto schwerer entschließt er sich dazu, zu arbeiten. | ||||||
| 29 | Bei der Arbeit ist die Beschäftigung nicht an sich selbst angenehm, | ||||||
| 30 | sondern man unternimmt sie einer andern Absicht wegen. Die Beschäftigung | ||||||
| 31 | bei dem Spiele dagegen ist an sich angenehm, ohne weiter irgend | ||||||
| 32 | einen Zweck dabei zu beabsichtigen. Wenn man spazieren geht: so ist das | ||||||
| 33 | Spazierengehen selbst die Absicht, und je länger also der Gang ist, desto | ||||||
| 34 | angenehmer ist er uns. Wenn wir aber irgend wohin gehen, so ist die | ||||||
| 35 | Gesellschaft, die sich an dem Orte befindet, oder sonst etwas die Absicht | ||||||
| 36 | unsers Ganges, und wir wählen gerne den kürzesten Weg. So ist es auch | ||||||
| 37 | mit dem Kartenspiele. Es ist wirklich besonders, wenn man sieht, wie | ||||||
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