Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 469

     
           
 

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  01 der Verzärtelung. Auch die Gymnastik soll die Natur nur lenken, darf      
  02 also nicht gezwungene Zierlichkeit veranlassen. Disciplin muß zuerst eintreten,      
  03 nicht aber Information. Hier ist nun aber darauf zu sehen, da      
  04 man die Kinder bei der Cultur ihres Körpers auch für die Gesellschaft      
  05 bilde. Rousseau sagt: "Ihr werdet niemals einen tüchtigen Mann      
  06 bilden, wenn ihr nicht vorher einen Gassenjungen habt!" Es kann eher      
  07 aus einem muntern Knaben ein guter Mann werden, als aus einem naseweisen,      
  08 klug thuenden Burschen. Das Kind muß in Gesellschaften nur      
  09 nicht lästig sein, es muß sich aber auch nicht einschmeicheln. Es muß auf      
  10 die Einladung Anderer zutraulich sein ohne Zudringlichkeit; freimüthig      
  11 ohne Dummdreistigkeit. Das Mittel dazu ist: man verderbe nur nichts,      
  12 man bringe ihm nicht Begriffe von Anstand bei, durch die es nur schüchtern      
  13 und menschenscheu gemacht, oder auf der andern Seite auf die Idee      
  14 gebracht wird, sich geltend machen zu wollen. Nichts ist lächerlicher, als      
  15 altkluge Sittsamkeit oder naseweiser Eigendünkel des Kindes. Im letztern      
  16 Falle müssen wir um so mehr das Kind seine Schwächen, aber doch auch      
  17 nicht zu sehr unsre Überlegenheit und Herrschaft empfinden lassen, damit      
  18 es sich zwar aus sich selbst ausbilde, aber nur als in der Gesellschaft, wo      
  19 die Welt zwar groß genug für dasselbe, aber auch für Andre sein muß.      
           
  20 Toby sagt im Tristam Shandy zu einer Fliege, die ihn lange      
  21 beunruhigt hatte, indem er sie zum Fenster hinausläßt: "Gehe, du böses      
  22 Thier, die Welt ist groß genug für mich und dich!" Und dies könnte      
  23 jeder zu seinem Wahlspruche machen. Wir dürfen uns nicht einander      
  24 lästig werden; die Welt ist groß genug für uns Alle.      
           
  25 Wir kommen jetzt zur Cultur der Seele, die man gewissermaßen auch      
  26 physisch nennen kann. Man muß aber Natur und Freiheit von einander      
  27 unterscheiden. Der Freiheit Gesetze geben, ist etwas ganz anderes, als      
  28 die Natur bilden. Die Natur des Körpers und der Seele kommt doch      
  29 darin überein, daß man ein Verderbniß bei ihrer beiderseitigen Bildung      
  30 abzuhalten sucht, und daß die Kunst dann noch etwas bei jenem, wie bei      
  31 dieser hinzusetzt. Man kann die Bildung der Seele also gewissermaßen      
  32 eben so gut physisch nennen, als die Bildung des Körpers.      
           
  33 Diese physische Bildung des Geistes unterscheidet sich aber von der      
  34 moralischen darin, daß diese nur auf die Freiheit, jene nur auf die Natur      
  35 abzielt. Ein Mensch kann physisch sehr cultivirt sein, er kann einen sehr      
           
     

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