Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 467 |
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| 01 | Hurtigkeit, Sicherheit; z. E. daß man auf schmalen Stegen, auf | ||||||
| 02 | steilen Höhen, wo man eine Tiefe vor sich sieht, auf einer schwankenden | ||||||
| 03 | Unterlage gehen könne. Wenn ein Mensch das nicht kann, so ist er auch | ||||||
| 04 | nicht völlig das, was er sein könnte. Seit das dessauische Philanthropin | ||||||
| 05 | hierin mit seinem Muster voranging, werden nun auch in andern Instituten | ||||||
| 06 | mit den Kindern viele Versuche der Art gemacht. Es ist sehr bewunderungswürdig, | ||||||
| 07 | wenn man liest, wie die Schweizer sich schon von | ||||||
| 08 | Jugend auf gewöhnen, auf den Gebirgen zu gehen, und zu welcher | ||||||
| 09 | Fertigkeit sie es darin bringen, so daß sie auf den schmalsten Stegen mit | ||||||
| 10 | völliger Sicherheit gehen und über Klüfte springen, bei denen sie es schon | ||||||
| 11 | nach dem Augenmaße wissen, daß sie gut darüber wegkommen werden. | ||||||
| 12 | Die meisten Menschen aber fürchten sich vor einem eingebildeten Falle, | ||||||
| 13 | und diese Furcht lähmt ihnen gleichsam die Glieder, so daß alsdann ein | ||||||
| 14 | solches Gehen für sie mit Gefahr verknüpft ist. Diese Furcht nimmt gemeiniglich | ||||||
| 15 | mit dem Alter zu, und man findet, daß sie vorzüglich bei | ||||||
| 16 | Männern gewöhnlich ist, die viel mit dem Kopfe arbeiten. | ||||||
| 17 | Solche Versuche mit Kindern sind wirklich nicht sehr gefährlich. | ||||||
| 18 | Denn Kinder haben ein im Verhältnisse zu ihrer Stärke weit geringeres | ||||||
| 19 | Gewicht als andere Menschen und fallen also auch nicht so schwer. Überdies | ||||||
| 20 | sind die Knochen bei ihnen auch nicht so spröde und brüchig, als sie | ||||||
| 21 | es im Alter werden. Die Kinder versuchen auch selbst ihre Kräfte. So | ||||||
| 22 | sieht man sie z. E. oft klettern, ohne daß sie dabei irgend eine Absicht | ||||||
| 23 | haben. Das Laufen ist eine gesunde Bewegung und roborirt den Körper. | ||||||
| 24 | Das Springen, Heben, Tragen, die Schleuder, das Werfen nach dem | ||||||
| 25 | Ziele, das Ringen, der Wettlauf und alle dergleichen Übungen sind sehr | ||||||
| 26 | gut. Das Tanzen, in so fern es kunstmäßig ist, scheint für eigentliche | ||||||
| 27 | Kinder noch zu früh zu sein. | ||||||
| 28 | Die Übung im Werfen, theils weit zu werfen, theils auch zu treffen, | ||||||
| 29 | hat auch die Übung der Sinne, besonders des Augenmaßes mit zur Absicht. | ||||||
| 30 | Das Ballspiel ist eines der besten Kinderspiele, weil auch noch das | ||||||
| 31 | gesunde Laufen dazu kommt. Überhaupt sind diejenigen Spiele die besten, | ||||||
| 32 | bei welchen neben den Exercitien der Geschicklichkeit auch Übungen der | ||||||
| 33 | Sinne hinzukommen, z. E. die Übung des Augenmaßes, über Weite, | ||||||
| 34 | Größe und Proportion richtig zu urtheilen, die Lage der Örter nach den | ||||||
| 35 | Weltgegenden zu finden, wozu die Sonne behülflich sein muß, usw., das | ||||||
| 36 | Alles sind gute Übungen. So ist auch die locale Einbildungskraft, unter | ||||||
| 37 | der man die Fertigkeit versteht, sich Alles an den Örtern vorzustellen, an | ||||||
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