Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 450 |
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01 | beliebt zu machen. Wegen der Menge der Zwecke wird die Geschicklichkeit | ||||||
02 | gewissermaßen unendlich. | ||||||
03 | 3) Muß man darauf sehen, daß der Mensch auch klug werde, in die | ||||||
04 | menschliche Gesellschaft passe, daß er beliebt sei und Einfluß habe. Hiezu | ||||||
05 | gehört eine gewisse Art von Cultur, die man Civilisirung nennt. Zu | ||||||
06 | derselben sind Manieren, Artigkeit und eine gewisse Klugheit erforderlich, | ||||||
07 | der zufolge man alle Menschen zu seinen Endzwecken gebrauchen kann. | ||||||
08 | Sie richtet sich nach dem wandelbaren Geschmacke jedes Zeitalters. So | ||||||
09 | liebte man noch vor wenigen Jahrzehenden Ceremonieen im Umgange. | ||||||
10 | 4) Muß man auf die Moralisirung sehen. Der Mensch soll nicht | ||||||
11 | blos zu allerlei Zwecken geschickt sein, sondern auch die Gesinnung bekommen, | ||||||
12 | daß er nur lauter gute Zwecke erwähle. Gute Zwecke sind diejenigen, | ||||||
13 | die nothwendigerweise von Jedermann gebilligt werden, und die | ||||||
14 | auch zu gleicher Zeit Jedermanns Zwecke sein können. | ||||||
15 | Der Mensch kann entweder blos dressirt, abgerichtet, mechanisch | ||||||
16 | unterwiesen, oder wirklich aufgeklärt werden. Man dressirt Hunde, | ||||||
17 | Pferde, und man kann auch Menschen dressiren. (Dieses Wort kommt | ||||||
18 | aus dem Englischen her, von to dress , kleiden. Daher auch Dreßkammer, | ||||||
19 | der Ort, wo die Prediger sich umkleiden, und nicht Trostkammer.) | ||||||
20 | Mit dem Dressiren aber ist es noch nicht ausgerichtet, sondern es | ||||||
21 | kommt vorzüglich darauf an, daß Kinder denken lernen. Das geht auf | ||||||
22 | die Principien hinaus, aus denen alle Handlungen entspringen. Man | ||||||
23 | sieht also, daß bei einer ächten Erziehung sehr Vieles zu thun ist. Gewöhnlich | ||||||
24 | wird aber bei der Privaterziehung das vierte, wichtigste Stück | ||||||
25 | noch wenig in Ausübung gebracht, denn man erzieht die Kinder im | ||||||
26 | Wesentlichen so, daß man die Moralisirung dem Prediger überläßt. | ||||||
27 | Wie unendlich wichtig ist es aber nicht, die Kinder von Jugend auf das | ||||||
28 | Laster verabscheuen zu lehren, nicht gerade allein aus dem Grunde, weil | ||||||
29 | Gott es verboten hat, sondern weil es in sich selbst verabscheuungswürdig | ||||||
30 | ist!*) Sonst nämlich kommen sie leicht auf die Gedanken, daß sie es wohl | ||||||
31 | immer würden ausüben können, und daß es übrigens wohl würde erlaubt | ||||||
32 | sein, wenn Gott es nur nicht verboten hätte, und daß Gott daher wohl | ||||||
33 | einmal eine Ausnahme machen könne. Gott ist das heiligste Wesen und | ||||||
34 | *) S. weiter unten. | ||||||
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