Kant: AA IX, Immanuel Kant über ... , Seite 449

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 daß sie zunächst nicht sowohl das Weltbeste, als vielmehr nur das Wohl      
  02 ihres Staates zur Absicht haben, damit sie ihre Zwecke erreichen. Geben      
  03 sie aber das Geld dazu her: so muß es ja ihnen auch anheimgestellt bleiben,      
  04 dazu den Plan vorzuzeichnen. So ist es in Allem, was die Ausbildung des      
  05 menschlichen Geistes, die Erweiterung menschlicher Erkenntnisse betrifft.      
  06 Macht und Geld schaffen es nicht, erleichtern es höchstens. Aber sie könnten      
  07 es schaffen, wenn die Staatsökonomie nicht für die Reichskasse nur im      
  08 Voraus die Zinsen berechnete. Auch Akademieen thaten es bisher nicht,      
  09 und daß sie es noch thun werden, dazu war der Anschein nie geringer      
  10 als jetzt.      
           
  11 Demnach sollte auch die Einrichtung der Schulen blos von dem Urtheile      
  12 der aufgeklärtesten Kenner abhängen. Alle Cultur fängt von dem      
  13 Privatmanne an und breitet von daher sich aus. Blos durch die Bemühung      
  14 der Personen von extendirteren Neigungen, die Antheil an dem      
  15 Weltbesten nehmen und der Idee eines zukünftigen bessern Zustandes      
  16 fähig sind, ist die allmähliche Annäherung der menschlichen Natur zu ihrem      
  17 Zwecke möglich. Sieht hin und wieder doch noch mancher Große sein      
  18 Volk gleichsam nur für einen Theil des Naturreiches an und richtet also      
  19 auch nur darauf sein Augenmerk, daß es fortgepflanzt werde. Höchstens      
  20 verlangt man dann auch noch Geschicklichkeit, aber blos um die Unterthanen      
  21 desto besser als Werkzeug zu seinen Absichten gebrauchen zu können.      
  22 Privatmänner müssen freilich auch zuerst den Naturzweck vor Augen haben,      
  23 aber dann auch besonders auf die Entwickelung der Menschheit und dahin      
  24 sehn, daß sie nicht nur geschickt, sondern auch gesittet werde, und, welches      
  25 das Schwerste ist, daß sie suchen, die Nachkommenschaft weiter zu bringen,      
  26 als sie selbst gekommen sind.      
           
  27 Bei der Erziehung muß der Mensch also 1) disciplinirt werden.      
  28 Discipliniren heißt suchen zu verhüten, daß die Thierheit nicht der Menschheit      
  29 in dem einzelnen sowohl als gesellschaftlichen Menschen zum Schaden      
  30 gereiche. Disciplin ist also blos Bezähmung der Wildheit.      
           
  31 2) Muß der Mensch cultivirt werden. Cultur begreift unter sich      
  32 die Belehrung und die Unterweisung. Sie ist die Verschaffung der Geschicklichkeit.      
  33 Diese ist der Besitz eines Vermögens, welches zu allen      
  34 beliebigen Zwecken zureichend ist. Sie bestimmt also gar keine Zwecke,      
  35 sondern überläßt das nachher den Umständen.      
           
  36 Einige Geschicklichkeiten sind in allen Fällen gut, z. E. das Lesen      
  37 und Schreiben; andere nur zu einigen Zwecken, z. E. die Musik, um uns      
           
     

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