Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 381

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Einige Kaiser und andere haben sich lange mit der Grille vom Trank der      
  02 Unsterblichkeit geschleppt. Die Buchdruckerkunst ist so beschaffen: Man      
  03 klebt die Blätter eines wohl abgeschriebenen Buchs auf ein langes Brett      
  04 und schneidet die Charaktere in Holz aus. Die Chineser haben gradus      
  05 academicos . Die Candidaten zur Doctorwürde werden gemeiniglich vom      
  06 Kaiser selbst examinirt. Mit ihnen werden die wichtigsten Ämter besetzt.      
  07 Weil alle ihre Archive von einem ihrer Kaiser vor zweitausend Jahren sind      
  08 vertilgt worden, so besteht ihre alte Geschichte fast bloß aus Traditionen.      
  09 Ihr erstes Gesetz ist der Gehorsam der Kinder gegen die Eltern. Wenn      
  10 ein Sohn Hand an seinen Vater legt: so kommt das ganze Land darüber      
  11 in Bewegung. Alle Nachbaren kommen in Inquisition. Er selbst wird      
  12 condemnirt in zehn tausend Stücke zerhauen zu werden. Sein Haus und      
  13 die Straße selber, darin es stand, werden niedergerissen und nicht mehr      
  14 gebaut. Das zweite Gesetz ist Gehorsam und Ehrerbietigkeit gegen die      
  15 Obrigkeit.      
           
  16 Das dritte Gesetz betrifft die Höflichkeit und Complimente.      
  17 Diebstahl und Ehebruch werden mit der Bastonade bestraft. Jedermann      
  18 hat in China die Freiheit, die Kinder, die ihm zur Last werden, wegzuwerfen,      
  19 zu hängen oder zu ersäufen. Dies geschieht, weil das Land so      
  20 volkreich ist, das Heirathen zu befördern. Ungeachtet ihres Fleißes sterben      
  21 doch jährlich in einer oder der andern Provinz viele tausend Hungers.      
  22 In Peking wird täglich eine Zeitung abgedruckt, in der das löbliche oder      
  23 tadelhafte Verhalten der Mandarinen sammt ihrer Belohnung oder Strafe      
  24 angegeben wird.      
           
  25
Religion.
     
           
  26 Die Religion wird hier ziemlich kaltsinnig behandelt. Viele glauben      
  27 keinen Gott; andere, die eine Religion annehmen, bemengen sich nicht viel      
  28 damit. Die Secte des Fo ist die zahlreichste. Unter diesem Fo verstehen      
  29 sie eine eingefleischte Gottheit, die vornehmlich den großen Lama zu Barantola      
  30 in Tibet anjetzt bewohnt und in ihm angebetet wird, nach seinem      
  31 Tode aber in einen andern Lama fährt. Die tatarischen Priester des Fo      
  32 werden Lamas genannt, die chinesischen Bonzen. Die katholischen Missionarien      
  33 beschreiben die den Fo betreffenden Glaubensartikel in der Art,      
  34 daß daraus erhellt, es müsse dieses nichts anders als ein ins große Heidenthum      
  35 degenerirtes Christenthum sein. Sie sollen in der Gottheit drei Personen      
  36 statuiren, und die zweite habe das Gesetz gegeben und für das      
  37 menschliche Geschlecht ihr Blut vergossen. Der große Lama soll auch eine      
           
     

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