Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 304

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01
§. 79.
     
           
  02 Aus allem diesem ergiebt sich Folgendes:      
  03 Die Erde war im Anfange eine ganz flüssige Masse, ein Chaos, in      
  04 dem alle Elemente, Luft, Erde, Wasser usw., vermengt waren. Sie      
  05 nahm die Gestalt einer bei den Polen eingedrückten Afterkugel an; sie      
  06 fing an hart zu werden und zwar bei der Oberfläche zuerst, die Luft und      
  07 das Wasser begaben sich wegen ihrer Leichtigkeit aus dem Innern der      
  08 Erde unter diese Rinde. Die Rinde sank, und es wurde alles mit Wasser      
  09 bedeckt. Damals erzeugten sich in allen Thälern Seemuscheln, allein noch      
  10 war die Erde nicht ruhig. Das Innere der Erde sonderte die ihm untermengte      
  11 Erde immer mehr und mehr ab, und diese stieg unter die oberste      
  12 Rinde, da wurden die Höhlen weiter. Weil nun die Gegenden, wo die      
  13 Einsenkungen der Erde die tiefsten Thäler machten, am meisten mit Wasser      
  14 belastet waren: so sanken sie tiefer, und das Wasser verließ viele erhabne      
  15 Theile; damals entstand trocknes Land, und es wurde der vormalige      
  16 Meeresgrund durch die Wirkung der Bäche und des Regens an den      
  17 meisten Orten mit einer Schicht fruchtbaren Erdreichs bedeckt. Dieses      
  18 dauerte lange Perioden fort, und die Menschen breiteten sich immer mehr      
  19 aus; allein aus den schon angeführten Gründen wurden die unterirdischen      
  20 Höhlen immer weiter, endlich sank plötzlich das oberste Gewölbe der Erde,      
  21 dieses war die Sündfluth, in welcher das Wasser alles bedeckte. Allein      
  22 darauf sank wieder der Meeresgrund und ließ einiges Land trocken, dieses      
  23 dauerte fort, so daß bald dieser, bald jener Strich, der vordem im Meeresgrunde      
  24 gelegen, in festes Land verändert wurde. Jedesmal überschwemmte      
  25 das von dem nunmehr erhöhten Boden herabstürzende Wasser die niedrigen      
  26 Gegenden und bedeckte sie mit Schichten von Materien, die es von      
  27 den obern abschwemmte.      
           
  28 Es dauerte diese Revolution in einigen Gegenden noch mehrere Jahrhunderte,      
  29 indem das trockne Land, da die Gewölbe desselben wegen der      
  30 unter ihnen befindlichen Höhlen nicht mehr fest standen, einsank und vom      
  31 Meere bedeckt wurde, aber nach einem langen Aufenthalte desselben, da      
  32 der Boden des Meeres noch tiefer sank, wiederum entblößt wurde. Und      
  33 in der That findet man die unterirdischen Wälder, z. B. in Friesland, im      
  34 Lüneburgischen, so umgeworfen, daß zu sehen ist, das gegen Nordwest gelegene      
  35 Meer sei über sie weggestürzt und habe sich wieder zurückgezogen.      
  36 Daher kommt es, daß die meisten Einsenkungen nahe zum Äquator geschehen,      
  37 denn daselbst müssen die weitesten Höhlen entstanden sein, wie      
           
     

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