Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 303 |
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01 | vieler Jahrhunderte durch den Anwachs des Meeres entstanden. Aber | ||||||
02 | dieses aus dem Meere hervorgekommene Land müßte flach und eben gewesen | ||||||
03 | sein, so wie alle auf diese Art erzeugten Länder; man findet aber | ||||||
04 | alle Länder der Erde voll hoher Berge. | ||||||
05 | Büffon meint, die Meerströme, welche in dem weiten Gewässer, | ||||||
06 | welches im Anfange die ganze Erde bedeckte, herrschten, hätten die Unebenheiten | ||||||
07 | und Gebirge gemacht, und das Meer hätte sich nach und nach auf | ||||||
08 | eine Art, die ihm nicht genugsam erklärlich war, zurückgezogen und diese | ||||||
09 | Höhen trocken gelassen. | ||||||
10 | §. 78. |
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11 | Versuch der gründlichen Erklärungsart der alten Geschichte |
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12 | der Erde. |
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13 | Es ist | ||||||
14 | 1. gewiß, daß die Erde in ihrer ganzen Masse flüssig gewesen, weil sie | ||||||
15 | eine Figur an sich genommen, die durch den Drehungsschwung aller | ||||||
16 | Partikeln derselben bestimmt worden, und man findet auch bis in die | ||||||
17 | größten Tiefen, wohin man gräbt, schichtenweise übereinander liegende | ||||||
18 | Erdlagen, welche nicht anders als im Bodensatz einer trüben | ||||||
19 | und vermengten Masse aufzusuchen sind. | ||||||
20 | 2. ist gewiß, daß alles vordem Boden der See gewesen sein müsse, und | ||||||
21 | das Erdreich nicht auf einmal hervorgezogen worden, sondern nach | ||||||
22 | und nach und zwar mit einem oftmaligen Rückfalle in den Grund | ||||||
23 | der See, ingleichen daß dieses lange Perioden hindurch gewährt habe. | ||||||
24 | 3. Daß Gebirge desto höher sind, je näher sie dem Äquator liegen. | ||||||
25 | 4. Daß die Erde unter der obersten Rinde allenthalben hohl sei, selbst | ||||||
26 | unter dem Meeresgrunde, und häufige und allgemeine Einsenkungen | ||||||
27 | haben geschehen müssen, gleich wie jetzt noch einige besonders vorgehen. | ||||||
29 | 5. Daß, wo die tiefsten Einsenkungen geschehen, dahin das Meer sich | ||||||
30 | zurückgezogen und die Praecipitia trocken gelassen. | ||||||
31 | 6. Daß die Einsenkungen häufiger in der heißen Zone als anderwärts | ||||||
32 | geschehen, daher daselbst die meisten Gebirge, die weitesten Meere, | ||||||
33 | die meisten Inseln und Landesspitzen sind. | ||||||
34 | 7. Daß das feste Land bisweilen niedergesunken, aber nach langen Zeiten, | ||||||
35 | da der Meeresgrund sich tiefer in die unter ihm befindlichen | ||||||
36 | Höhlen gesenkt, wieder verlassen und trocken geworden. | ||||||
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