Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 222 |
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01 | Hierher gehört zuvörderst das Treibeis, welches daselbst sowohl in | ||||||
02 | großen und abgesonderten Stücken, die daher Eisstücke oder Eisberge | ||||||
03 | heißen, als auch in ausgedehnten und zusammenhängenden Massen, welche | ||||||
04 | Eisfelder genannt werden, anzutreffen ist. In der Straße Davis haben | ||||||
05 | die Wallfischfänger Gelegenheit dieses Eis zu betrachten. Die Eisstücke | ||||||
06 | ragen oft 60 bis 120 Schuh über die Oberfläche des Wassers hervor und | ||||||
07 | erstrecken sich meistens bis zu einer Tiefe von 500 Fuß unter das Wasser | ||||||
08 | herab. Im Allgemeinen nimmt man an, daß höchstens nur der achte Theil | ||||||
09 | eines solchen Eisstückes oberhalb aus dem Wasser hervorrage. | ||||||
10 | Weil das Eis, wenn es zerschmilzt, gewöhnlich röhren= oder blockartig | ||||||
11 | zerspaltet: so sehen diese Massen desselben in der Entfernung großen | ||||||
12 | Städten ähnlich, und der Nebel (welcher aus der starken Ausdünstung | ||||||
13 | dieser Berge entsteht und daher zu einem untrüglichen Merkmale dienen | ||||||
14 | könnte, die Eisstücke schon von fern zu erkennen), mit dem dieselben beständig | ||||||
15 | bedeckt sind, und der gleichsam ihre Sphäre ausmacht, verhindert | ||||||
16 | es noch mehr, diesen optischen Betrug zu entdecken und wahrzunehmen. | ||||||
17 | Obgleich sich die Fahrzeuge nur deshalb in diese Gegenden begeben, um | ||||||
18 | Wallfische zu fangen, und sich daher nur das Sommerhalbjahr hindurch | ||||||
19 | hier aufzuhalten pflegen, so könnte vielleicht doch irgend ein Fahrzeug in | ||||||
20 | der langen Nacht dieser Gegenden umherschweifen. Nähmen die Schiffer | ||||||
21 | nun jenen Betrug nicht wahr und hielten wirklich die Erscheinung für | ||||||
22 | das, was sie in ihren Augen vorstellt: so wäre das Zerscheitern des Schiffes | ||||||
23 | eine unausbleibliche Folge, wofern nicht der Nebel, mit dem die Eisberge, | ||||||
24 | wie gesagt, beständig bedeckt sind, die Schiffer durch seine außerordentliche | ||||||
25 | Kälte warnte. | ||||||
26 | Was die Eisfelder betrifft, so sind selbige so groß, daß eine Zeit von | ||||||
27 | 24 Stunden dazu erfordert wird, ihnen mit aufgespannten Segeln vorbeizuschiffen; | ||||||
28 | und die daher manchmal fast die Größe des eigentlichen Königreiches | ||||||
29 | Preußen haben. Es giebt auch zwischen zwei solcher Eisfelder zuweilen | ||||||
30 | Straßen wie die bei Gibraltar, durch die man, weil die Bewegung | ||||||
31 | jener nur langsam ist, oder sie sich auch gar nicht bewegen, mit den | ||||||
32 | Schiffen durchfahren kann. In den Buchten der Eisfelder können die | ||||||
33 | Schiffe, wie in einem Hafen, vor Anker liegen, wo alsdann die Leute auf | ||||||
34 | die Fischerei und Jagd ausgehen. Es befinden sich auf ihnen auch große | ||||||
35 | Teiche, in denen süßes Wasser angetroffen wird, und zu denen die Schiffer | ||||||
36 | ihre Zuflucht nehmen, nicht selten auch allerhand Thiere, z. B. Seehunde, | ||||||
37 | weiße Bären und dergleichen, welche sich wegen des Fischfanges dahin | ||||||
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