Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 223

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 begeben haben. Wenn sich nun solche Felder von dem festen Lande, an      
  02 das sie sich zuweilen angesetzt haben, trennen, so werden solche Thiere,      
  03 ehe sie es wahrnehmen, vom Lande weggeführt, und auf solche Art      
  04 können fremde Thiere in fremde Länder versetzt werden.      
           
  05 Ein solches Eis zerplatzt aber bald in tausend Stücke, so wie ein Glas,      
  06 das geschwind abgekühlt wird, oder durch Abbrechung der Spitze so erschüttert      
  07 wird, daß es zerspringt. Daher nimmt man auch Kähne auf die      
  08 Eisfelder mit, wenn man sie betritt.      
           
  09 Das schädlichste bei diesen Eisfeldern ist, daß sie gar oft durch das      
  10 Zerplatzen die Fahrten verstopfen. Wenn auf den Untiefen und Sandbänken,      
  11 die nahe am Lande sind, ein solches Eisstück Grund faßt: so hält      
  12 es auch das andere Eis auf, so daß es sich anhäuft und zusammenstopft.      
           
  13 Das Eis in solchen Eisfeldern hat eine blaue Farbe und soll sehr      
  14 dauerhaft und beständig sein. Rings umher an den äußersten Enden      
  15 hat es einen Saum, der aus einem noch härteren, nach Andern aber,      
  16 und wahrscheinlicher, aus einem durch das anspielende Meerwasser zernagten,      
  17 wenn gleich deshalb nicht mürbern Eis besteht, und vor welchem      
  18 die Schiffe, um nicht daran zu zerschellen, sehr auf ihrer Hut sein      
  19 müssen.      
           
  20 Woher rührt und woraus entsteht denn nun aber ein solches Eis?      
  21 Da das gesalzene Wasser nicht gefrieren kann: so sieht man leicht ein, sagt      
  22 man sonst, daß es gefrornes süßes Wasser sein muß, welches jenen Meeren      
  23 aus den Flüssen der benachbarten Länder zugeführt wird. Dieses Wasser      
  24 fängt nun an zu gefrieren, und weil es sich mehrentheils bis an ein Land      
  25 erstreckt, so setzt sich das übrige Wasser mit diesem Eise in Verbindung,      
  26 und auf solche Weise erhält es einen ansehnlichen Zuwachs.      
           
  27 Richtiger aber ist wohl die neuere Vorstellung dieser Sache, welcher      
  28 zufolge das Treibeis wirklich ein Product des Meerwassers ist. Es ist      
  29 wahr, dieses Eis giebt, wenn es geschmolzen wird, nur süßes Wasser, aber      
  30 gewiß ist es, daß durch irgend eine chemische Operation das Salz bei dem      
  31 Gefrieren sich von dem Meerwasser scheidet, so wie dieses, obwohl langsamer,      
  32 doch sogar in hoher See gefrieren kann. Das auf diese Art entstandene      
  33 Treibeis erhält hierauf im Winter immer noch einen stärkern      
  34 Zuwachs, als der Verlust es ist, den es im Sommer durch das Abschmelzen      
  35 erleidet, und da es überdies oft eine ganze Reihe von Jahren      
  36 auf einer und derselben Stelle verweilt: so ist es um so weniger ein      
  37 Wunder, daß es oft einen so großen Umfang erhält.      
           
           
     

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