Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 085 |
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| 01 | daß die Voraussetzung, als Grund, hinreichend ist, andre Erkenntnisse, | ||||||
| 02 | als Folgen, daraus zu erklären. Denn wir schließen hier von der Wahrheit | ||||||
| 03 | der Folge auf die Wahrheit des Grundes. Da aber diese Schlußart, | ||||||
| 04 | wie oben bereits bemerkt worden, nur dann ein hinreichendes Kriterium | ||||||
| 05 | der Wahrheit giebt und zu einer apodiktischen Gewißheit führen kann, | ||||||
| 06 | wenn alle möglichen Folgen eines angenommenen Grundes wahr sind: | ||||||
| 07 | so erhellt hieraus, daß, da wir nie alle möglichen Folgen bestimmen können, | ||||||
| 08 | Hypothesen immer Hypothesen bleiben, das heißt: Voraussetzungen, zu | ||||||
| 09 | deren völliger Gewißheit wir nie gelangen können. Demohngeachtet kann | ||||||
| 10 | die Wahrscheinlichkeit einer Hypothese doch wachsen und zu einem Analogon | ||||||
| 11 | der Gewißheit sich erheben, wenn nämlich alle Folgen, die uns | ||||||
| 12 | bis jetzt vorgekommen sind, aus dem vorausgesetzten Grunde sich erklären | ||||||
| 13 | lassen. Denn in einem solchen Falle ist kein Grund da, warum | ||||||
| 14 | wir nicht annehmen sollten, daß sich daraus alle möglichen Folgen werden | ||||||
| 15 | erklären lassen. Wir ergeben uns also in diesem Falle der Hypothese, | ||||||
| 16 | als wäre sie völlig gewiß, obgleich sie es nur durch Induction ist. | ||||||
| 17 | Und etwas muß doch auch in jeder Hypothese apodiktisch gewiß sein, | ||||||
| 18 | nämlich | ||||||
| 19 | 1) die Möglichkeit der Voraussetzung selbst. Wenn wir z. B. | ||||||
| 20 | zu Erklärung der Erdbeben und Vulcane ein unterirdisches Feuer annehmen: | ||||||
| 21 | so muß ein solches Feuer doch möglich sein, wenn auch eben nicht | ||||||
| 22 | als ein flammender, doch als ein hitziger Körper. Aber zum Behuf gewisser | ||||||
| 23 | andrer Erscheinungen die Erde zu einem Thiere zu machen, in welchem | ||||||
| 24 | die Circulation der inneren Säfte die Wärme bewirke, heißt eine | ||||||
| 25 | bloße Erdichtung und keine Hypothese aufstellen. Denn Wirklichkeiten | ||||||
| 26 | lassen sich wohl erdichten, nicht aber Möglichkeiten; diese müssen gewiß sein. | ||||||
| 27 | 2) Die Consequenz. Aus dem angenommenen Grunde müssen | ||||||
| 28 | die Folgen richtig herfließen; sonst wird aus der Hypothese eine bloße | ||||||
| 29 | Chimäre. | ||||||
| 30 | 3) Die Einheit. Es ist ein wesentliches Erforderniß einer Hypothese, | ||||||
| 31 | daß sie nur Eine sei und keiner Hülfshypothesen zu ihrer Unterstützung | ||||||
| 32 | bedürfe. Müssen wir bei einer Hypothese schon mehrere andre | ||||||
| 33 | zu Hülfe nehmen: so verliert sie dadurch sehr viel von ihrer Wahrscheinlichkeit. | ||||||
| 34 | Denn je mehr Folgen aus einer Hypothese sich ableiten lassen, | ||||||
| 35 | um so wahrscheinlicher ist sie, je weniger, desto unwahrscheinlicher. So | ||||||
| 36 | reichte z. B. die Hypothese des Tycho de Brahe zu Erklärung vieler Erscheinungen | ||||||
| 37 | nicht zu; er nahm daher zur Ergänzung mehrere neue Hypothesen | ||||||
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