Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 066 |
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01 | Verstand und also auf ein besonderes Subject ist subjectiv das Fürwahrhalten. | ||||||
03 | Das Fürwahrhalten ist überhaupt von zwiefacher Art, ein gewisses | ||||||
04 | oder ein ungewisses. Das gewisse Fürwahrhalten oder die Gewißheit | ||||||
05 | ist mit dem Bewußtsein der Nothwendigkeit verbunden, das ungewisse dagegen | ||||||
06 | oder die Ungewißheit, mit dem Bewußtsein der Zufälligkeit oder | ||||||
07 | der Möglichkeit des Gegentheils. Das letztere ist hinwiederum entweder | ||||||
08 | sowohl subjectiv als objectiv unzureichend, oder zwar objectiv unzureichend, | ||||||
09 | aber subjectiv zureichend. Jenes heißt Meinung, | ||||||
10 | dieses muß Glaube genannt werden. | ||||||
11 | Es giebt hiernach drei Arten oder Modi des Fürwahrhaltens: | ||||||
12 | Meinen, Glauben und Wissen. Das Meinen ist ein problematisches, | ||||||
13 | das Glauben ein assertorisches und das Wissen ein apodiktisches | ||||||
14 | Urtheilen. Denn was ich bloß meine, das halte ich im Urtheilen | ||||||
15 | mit Bewußtsein nur für problematisch; was ich glaube, für assertorisch, | ||||||
16 | aber nicht als objectiv, sondern nur als subjectiv nothwendig (nur für | ||||||
17 | mich geltend); was ich endlich weiß, für apodiktisch gewiß, d. i. für | ||||||
18 | allgemein und objectiv nothwendig (für Alle geltend), gesetzt auch, daß der | ||||||
19 | Gegenstand selbst, auf den sich dieses gewisse Fürwahrhalten bezieht, eine | ||||||
20 | bloß empirische Wahrheit wäre. Denn diese Unterscheidung des Fürwahrhaltens | ||||||
21 | nach den so eben genannten drei modis betrifft nur die Urtheilskraft | ||||||
22 | in Ansehung der subjectiven Kriterien der Subsumtion eines Urtheils | ||||||
23 | unter objective Regeln. | ||||||
24 | So wäre z. B. unser Fürwahrhalten der Unsterblichkeit bloß problematisch; | ||||||
25 | wofern wir nur so handeln, als ob wir unsterblich wären, | ||||||
26 | assertorisch aber, sofern wir glauben, daß wir unsterblich sind, | ||||||
27 | und apodiktisch endlich: sofern wir Alle wüßten, daß es ein anderes | ||||||
28 | Leben nach diesem giebt. | ||||||
29 | Zwischen Meinen, Glauben und Wissen findet demnach ein wesentlicher | ||||||
30 | Unterschied statt, den wir hier noch genauer und ausführlicher auseinandersetzen | ||||||
31 | wollen. | ||||||
32 | 1) Meinen. Das Meinen oder das Fürwahrhalten aus einem Erkenntnißgrunde, | ||||||
33 | der weder subjectiv noch objectiv hinreichend ist, kann als | ||||||
34 | ein vorläufiges Urtheilen ( sub conditione suspensiva ad interim ) angesehen | ||||||
35 | werden, dessen man nicht leicht entbehren kann. Man muß erst | ||||||
36 | meinen, ehe man annimmt und behauptet, sich dabei aber auch hüten, eine | ||||||
37 | Meinung für etwas mehr als bloße Meinung zu halten. Vom Meinen | ||||||
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