Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 056 |
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01 | Um Irrthümer zu vermeiden - und unvermeidlich ist wenigstens | ||||||
02 | absolut oder schlechthin kein Irrthum, ob er es gleich beziehungsweise | ||||||
03 | sein kann für die Fälle, da es, selbst auf die Gefahr zu irren, unvermeidlich | ||||||
04 | für uns ist, zu urtheilen - also um Irrthümer zu vermeiden, muß | ||||||
05 | man die Quelle derselben, den Schein, zu entdecken und zu erklären suchen. | ||||||
06 | Das haben aber die wenigsten Philosophen gethan. Sie haben nur die | ||||||
07 | Irrthümer selbst zu widerlegen gesucht, ohne den Schein anzugeben, woraus | ||||||
08 | sie entspringen. Diese Aufdeckung und Auflösung des Scheines ist | ||||||
09 | aber ein weit größeres Verdienst um die Wahrheit als die directe Widerlegung | ||||||
10 | der Irrthümer selbst, wodurch man die Quelle derselben nicht verstopfen | ||||||
11 | und es nicht verhüten kann, daß nicht der nämliche Schein, weil | ||||||
12 | man ihn nicht kennt, in andern Fällen wiederum zu Irrthümern verleite. | ||||||
13 | Denn sind wir auch überzeugt worden, daß wir geirrt haben: so bleiben | ||||||
14 | uns doch, im Fall der Schein selbst, der unserm Irrthume zum Grunde | ||||||
15 | liegt, nicht gehoben ist, noch Scrupel übrig, so wenig wir auch zu deren | ||||||
16 | Rechtfertigung vorbringen können. | ||||||
17 | Durch Erklärung des Scheins läßt man überdies auch dem Irrenden | ||||||
18 | eine Art von Billigkeit widerfahren. Denn es wird niemand zugeben, | ||||||
19 | daß er ohne irgend einen Schein der Wahrheit geirrt habe, der vielleicht | ||||||
20 | auch einen Scharfsinnigen hätte täuschen können, weil es hierbei auf subjective | ||||||
21 | Gründe ankommt. | ||||||
22 | Ein Irrthum, wo der Schein auch dem gemeinen Verstande ( sensus | ||||||
23 | communis ) offenbar ist, heißt eine Abgeschmacktheit oder Ungereimtheit. | ||||||
24 | Der Vorwurf der Absurdität ist immer ein persönlicher Tadel, den | ||||||
25 | man vermeiden muß, insbesondre bei Widerlegung der Irrthümer. | ||||||
26 | Denn demjenigen, welcher eine Ungereimtheit behauptet, ist selbst | ||||||
27 | doch der Schein, der dieser offenbaren Falschheit zum Grunde liegt, nicht | ||||||
28 | offenbar. Man muß ihm diesen Schein erst offenbar machen. Beharrt | ||||||
29 | er auch alsdann noch dabei, so ist er freilich abgeschmackt; aber dann ist | ||||||
30 | auch weiter nichts mehr mit ihm anzufangen. Er hat sich dadurch aller | ||||||
31 | weitern Zurechtweisung und Widerlegung eben so unfähig als unwürdig | ||||||
32 | gemacht. Denn man kann eigentlich Keinem beweisen, daß er ungereimt | ||||||
33 | sei; hierbei wäre alles Vernünfteln vergeblich. Wenn man die Ungereimtheit | ||||||
34 | beweist, so redet man nicht mehr mit dem Irrenden, sondern | ||||||
35 | mit dem Vernünftigen. Aber da ist die Aufdeckung der Ungereimtheit | ||||||
36 | ( deductio ad absurdum ) nicht nöthig. | ||||||
37 | Einen abgeschmackten Irrthum kann man auch einen solchen nennen, | ||||||
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