Kant: AA IX, Immanuel Kant's Logik Ein ... , Seite 037

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 subjectiv=allgemeinen Wohlgefallens enthält. Dieses ist die Schönheit,      
  02 das, was den Sinnen in der Anschauung gefällt und eben darum der      
  03 Gegenstand eines allgemeinen Wohlgefallens sein kann, weil die Gesetze      
  04 der Anschauung allgemeine Gesetze der Sinnlichkeit sind.      
           
  05 Durch diese Übereinstimmung mit den allgemeinen Gesetzen der Sinnlichkeit      
  06 unterscheidet sich der Art nach das eigentliche, selbstständige      
  07 Schöne, dessen Wesen in der bloßen Form besteht, von dem Angenehmen,      
  08 das lediglich in der Empfindung durch Reiz oder Rührung gefällt,      
  09 und um deswillen auch nur der Grund eines bloßen Privat=Wohlgefallens      
  10 sein kann.      
           
  11 Diese wesentliche ästhetische Vollkommenheit ist es auch, welche unter      
  12 allen mit der logischen Vollkommenheit sich verträgt und am besten mit      
  13 ihr verbinden läßt.      
           
  14 Von dieser Seite betrachtet kann also die ästhetische Vollkommenheit      
  15 in Ansehung jenes wesentlich Schönen der logischen Vollkommenheit vortheilhaft      
  16 sein. In einer anderen Rücksicht ist sie ihr aber auch nachtheilig,      
  17 sofern wir bei der ästhetischen Vollkommenheit nur auf das außerwesentlich      
  18 Schöne sehen, das Reizende oder Rührende, was den Sinnen      
  19 in der bloßen Empfindung gefällt und nicht auf die bloße Form, sondern      
  20 die Materie der Sinnlichkeit sich bezieht. Denn Reiz und Rührung können      
  21 die logische Vollkommenheit in unsern Erkenntnissen und Urtheilen      
  22 am meisten verderben.      
           
  23 Überhaupt bleibt wohl freilich zwischen der ästhetischen und der logischen      
  24 Vollkommenheit unsers Erkenntnisses immer eine Art von Widerstreit,      
  25 der nicht völlig gehoben werden kann. Der Verstand will belehrt,      
  26 die Sinnlichkeit belebt sein, der erste begehrt Einsicht, die zweite Faßlichkeit.      
  27 Sollen Erkenntnisse unterrichten, so müssen sie in so fern gründlich      
  28 sein; sollen sie zugleich unterhalten, so müssen sie auch schön sein. Ist ein      
  29 Vortrag schön, aber seicht, so kann er nur der Sinnlichkeit, aber nicht dem      
  30 Verstande, ist er umgekehrt gründlich, aber trocken, nur dem Verstande,      
  31 aber nicht auch der Sinnlichkeit gefallen.      
           
  32 Da es indessen das Bedürfniß der menschlichen Natur und der Zweck      
  33 der Popularität des Erkenntnisses erfordert, daß wir beide Vollkommenheiten      
  34 mit einander zu vereinigen suchen: so müssen wir es uns auch angelegen      
  35 sein lassen, denjenigen Erkenntnissen, die überhaupt einer ästhetischen      
  36 Vollkommenheit fähig sind, dieselbe zu verschaffen und eine schulgerechte,      
  37 logisch vollkommene Erkenntniß durch die ästhetische Form populär      
           
     

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