Kant: AA VIII, Anhang. ... , Seite 454

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Nichts als zuerst den wesentlichen Unterschied des Natürlichen und Sittlichen      
  02 in das hellste Licht und gegen alle Zweifel und Einsprüche des sich      
  03 dawider sträubenden Vorwitzes in völlige Gewißheit und Sicherheit zu      
  04 setzen und alsdann durch kritische Erforschung unsers gesammten Erkenntnißvermögens      
  05 befriedigenden Aufschluß darüber zu suchen, warum der Zusammenhang      
  06 jener beiden Verknüpfungen unbegreiflich sei, und (obschon      
  07 sich nicht ergründen läßt, auf welche Weise Natur und Freiheit im Menschen      
  08 zusammenhängen) in wiefern dennoch sich ohne Widerspruch gedenken lasse,      
  09 daß beide wirklich in ihm vereinigt Statt haben. Das scheint allerdings sehr      
  10 wenig zu sein und ist freilich auch weniger, als lüsterne Wißbegierde verlangt,      
  11 obzwar wohl so viel, als die Zwecke des Lebens nur immer erfordern      
  12 mögen. Wenn nun aber vollends bei den Untersuchungen, die uns jenen      
  13 Aufschluß gewährten, es sich offenbarte und auswiese, daß eben durch die      
  14 Begränzung ihres Wissens die Vernunft, die sonst in ihren Speculationen      
  15 über das Theoretische und Praktische mit sich selbst zerfällt, in Absicht auf      
  16 beides zur vollkommensten Harmonie gelangte, und eben durch die Erörterung      
  17 seines Unvermögens, Natur und Sittlichkeit mit einander zu      
  18 Paaren, unser Geist die erfreulichsten Blicke in eine von der Sinnenwelt      
  19 unterschiedene Verstandeswelt und die erwünschtesten Aussichten über seine      
  20 Bestimmung und Würde gewönne: so wäre es in der That Kurzsichtigkeit,      
  21 wenn man über die Begränzung unseres Wissens und über das Unvermögen      
  22 unseres Geistes Klage erheben, und Unverstand, wenn man sich      
  23 weigern wollte, zu gestehen, was gleichwohl unläugbar ist, daß nämlich      
  24 das wichtigste und anziehendste aller Probleme der Vernunft für uns hienieden      
  25 unauflöslich sei. Indessen mag man dies alles noch so klar zeigen,      
  26 so wird man darum nicht weniger von Zeit zu Zeit noch immer versuche,      
  27 das Problem zu lösen, zum Vorschein kommen sehn; denn so ist es nun      
  28 einmal mit dem Menschen bewandt, daß er in Sachen des Nachdenkens      
  29 vornehmlich über dunkele und eben darum reizende Gegenstände zu allem      
  30 eher als zur Erkenntniß seiner Unwissenheit gelangt und zu allem leichter      
  31 als zum Geständnisse seiner Unfähigkeit sich überwindet; und so muß es wohl      
  32 sein, da dergleichen Versuche nicht etwa wie ähnliche, welche überschwängliche      
  33 Erfindungen in der Mathematik betreffen, von Anfängern und Stümpern      
  34 in der Wissenschaft, sondern oftmals von Männern herrühren, deren      
  35 Einsichten und Kenntnisse kaum argwöhnen lassen, daß sie, welches gleichwohl      
  36 immer der Fall ist, den eigentlichen Fragepunkt der Aufgabe mißverstehen,      
  37 oder eine Bemäntelung der Schwierigkeiten für eine wirkliche      
           
     

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