Kant: AA VIII, Verkündigung des nahen ... , Seite 416

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01
Von der wirklichen Vereinbarkeit der kritischen Philosophie
     
  02
mit einem beharrlichen Friedenszustande derselben.
     
           
  03 Kritische Philosophie ist diejenige, welche nicht mit den Versuchen      
  04 Systeme zu bauen oder zu stürzen, oder gar nur (wie der Moderatism)      
  05 ein Dach ohne Haus zum gelegentlichen unterkommen auf Stützen zu      
  06 stellen, sondern von der Untersuchung der Vermögen der menschlichen      
  07 Vernunft (in welcher Absicht es auch sei) Eroberung zu machen anfängt      
  08 und nicht so ins Blaue hinein vernünftelt, wenn von Philosophemen die      
  09 Rede ist, die ihre Beläge in keiner möglichen Erfahrung haben können.      
  10 - Nun giebt es doch etwas in der menschlichen Vernunft, was uns      
  11 durch keine Erfahrung bekannt werden kann und doch seine Realität und      
  12 Wahrheit in Wirkungen beweiset, die in der Erfahrung dargestellt, also      
  13 auch (und zwar nach einem Princip a priori) schlechterdings können geboten      
  14 werden. Dieses ist der Begriff der Freiheit und das von dieser abstammende      
  15 Gesetz des kategorischen, d. i. schlechthin gebietenden, Imperativs.      
  16 Durch dieses bekommen Ideen, die für die bloß speculative      
  17 Vernunft völlig leer sein würden, ob wir gleich durch diese zu ihnen, als      
  18 Erkenntnißgründen unseres Endzwecks, unvermeidlich hingewiesen werden,      
  19 eine obzwar nur moralisch=praktische Realität: nämlich uns so zu verhalten,      
  20 als ob ihre Gegenstände (Gott und Unsterblichkeit), die man also      
  21 in jener (praktischen) Rücksicht postuliren darf, gegeben wären.      
           
  22 Diese Philosophie, welche ein immer (gegen die, welche verkehrterweise      
  23 Erscheinungen mit Sachen an sich selbst verwechseln) bewaffneter,      
  24 eben dadurch auch die Vernunftthätigkeit unaufhörlich begleitender bewaffneter      
  25 Zustand ist, eröffnet die Aussicht zu einem ewigen Frieden unter      
  26 den Philosophen durch die Ohnmacht der theoretischen Beweise des      
  27 Gegentheils einerseits und durch die Stärke der praktischen Gründe der      
  28 Annehmung ihrer Principien andererseits; - zu einem Frieden, der      
  29 überdem noch den Vorzug hat, die Kräfte des durch Angriffe in scheinbare      
  30 Gefahr gesetzten Subjects immer rege zu erhalten und so auch die Absicht      
  31 der Natur zu continuirlicher Belebung desselben und Abwehrung des      
  32 Todesschlafs durch Philosophie zu befördern.      
           
  33 Aus diesem Gesichtspunkt betrachtet, muß man den Ausspruch eines      
  34 nicht bloß in seinem eigentlichen (dem mathematischen) Fache, sondern      
           
     

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