Kant: AA VIII, Verkündigung des nahen ... , Seite 417 |
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01 | auch in vielen anderen vorzüglichen, mit einem thatenreichen, immer noch | ||||||
02 | blühenden Alter bekrönten Mannes nicht für den eines Unglücksboten, | ||||||
03 | sondern als einen Glückwunsch auslegen, wenn er den Philosophen einen | ||||||
04 | über vermeinten Lorbern gemächlich ruhenden Frieden gänzlich abspricht*): | ||||||
05 | indem ein solcher freilich die Kräfte nur erschlaffen und den Zweck der | ||||||
06 | Natur in Absicht der Philosophie, als fortwährenden Belebungsmittels | ||||||
07 | zum Endzweck der Menschheit, nur vereiteln würde; wogegen die streitbare | ||||||
08 | Verfassung noch kein Krieg ist, sondern diesen vielmehr durch ein | ||||||
09 | entschiedenes Übergewicht der praktischen Gründe über die Gegengründe | ||||||
10 | zurückhalten und so den Frieden sichern kann und soll. | ||||||
11 | B. |
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12 | Hyperphysische Grundlage des Lebens des Menschen zum |
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13 | Behuf einer Philosophie desselben. |
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14 | Vermittelst der Vernunft ist der Seele des Menschen ein Geist | ||||||
15 | ( mens , νοyσ) beigegeben, damit er nicht ein bloß dem Mechanism der | ||||||
16 | Natur und ihren technisch=praktischen, sondern auch ein der Spontaneität | ||||||
17 | der Freiheit und ihren moralisch=praktischen Gesetzen angemessenes | ||||||
18 | Leben führe. Dieses Lebensprincip gründet sich nicht auf Begriffen des | ||||||
19 | Sinnlichen, welche insgesammt zuvörderst (vor allem praktischen Vernunftgebrauch) | ||||||
20 | Wissenschaft, d. i. theoretisches Erkenntniß, voraussetzen, | ||||||
21 | sondern es geht zunächst und unmittelbar von einer Idee des | ||||||
22 | Übersinnlichen aus, nämlich der Freiheit, und vom moralischen | ||||||
23 | kategorischen Imperativ, welcher diese uns allererst kund macht; und begründet | ||||||
24 | so eine Philosophie, deren Lehre nicht etwa (wie Mathematik) | ||||||
25 | ein gutes Instrument (Werkzeug zu beliebigen Zwecken), mithin bloßes | ||||||
26 | Mittel, sondern die sich zum Grundsatze zu machen an sich selbst | ||||||
27 | Pflicht ist. | ||||||
28 | Was ist Philosophie, als Lehre, die unter allen Wissenschaften |
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29 | das größte Bedürfniß der Menschen ausmacht? |
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30 | Sie ist das, was schon ihr Name anzeigt: Weisheitsforschung. | ||||||
*) Auf ewig ist der Krieg vermieden, befolgt man, was der Weise spricht; dann halten alle Menschen Frieden, allein die Philosophen nicht. Kästner. | |||||||
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