Kant: AA VIII, Zum ewigen Frieden. Ein ... , Seite 382 |
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| 01 | Es ist gleich einem Axiom unerweislich=gewiß und überdem | ||||||
| 02 | leicht anzuwenden, wie aus folgenden Beispielen des öffentlichen Rechts | ||||||
| 03 | zu ersehen ist. | ||||||
| 04 | 1. Was das Staatsrecht ( ius civitatis ), nämlich das innere, betrifft: | ||||||
| 05 | so kommt in ihm die Frage vor, welche Viele für schwer zu beantworten | ||||||
| 06 | halten, und die das transscendentale Princip der Publicität | ||||||
| 07 | ganz leicht auflöset: "Ist Aufruhr ein rechtmäßiges Mittel für ein Volk, die | ||||||
| 08 | drückende Gewalt eines so genannten Tyrannen ( non titulo, sed exercitio | ||||||
| 09 | talis ) abzuwerfen? " Die Rechte des Volks sind gekränkt, und ihm (dem | ||||||
| 10 | Tyrannen) geschieht kein Unrecht durch die Entthronung; daran ist kein | ||||||
| 11 | Zweifel. Nichts desto weniger ist es doch von den Unterthanen im höchsten | ||||||
| 12 | Grade unrecht, auf diese Art ihr Recht zu suchen, und sie können eben so | ||||||
| 13 | wenig über Ungerechtigkeit klagen, wenn sie in diesem Streit unterlägen | ||||||
| 14 | und nachher deshalb die härteste Strafe ausstehen müßten. | ||||||
| 15 | Hier kann nun Vieles für und dawider vernünftelt werden, wenn | ||||||
| 16 | man es durch eine dogmatische Deduction der Rechtsgründe ausmachen | ||||||
| 17 | will; allein das transscendentale Princip der Publicität des öffentlichen | ||||||
| 18 | Rechts kann sich diese Weitläuftigkeit ersparen. Nach demselben frägt sich | ||||||
| 19 | vor Errichtung des bürgerlichen Vertrags das Volk selbst, ob es sich wohl | ||||||
| 20 | getraue, die Maxime des Vorsatzes einer gelegentlichen Empörung öffentlich | ||||||
| 21 | bekannt zu machen. Man sieht leicht ein, daß, wenn man es bei der | ||||||
| 22 | Stiftung einer Staatsverfassung zur Bedingung machen wollte, in gewissen | ||||||
| 23 | vorkommenden Fällen gegen das Oberhaupt Gewalt auszuüben, so müßte | ||||||
| 24 | das Volk sich einer rechtmäßigen Macht über jenes anmaßen. Alsdann | ||||||
| 25 | wäre jenes aber nicht das Oberhaupt, oder, wenn beides zur Bedingung | ||||||
| 26 | der Staatserrichtung gemacht würde, so würde gar keine möglich sein, | ||||||
| 27 | welches doch die Absicht des Volks war. Das Unrecht des Aufruhrs | ||||||
| 28 | leuchtet also dadurch ein, daß die Maxime desselben dadurch, daß man sich | ||||||
| 29 | öffentlich dazu bekennte, seine eigene Absicht unmöglich machen | ||||||
| 30 | würde. Man müßte sie also nothwendig verheimlichen. - Das letztere | ||||||
| 31 | wäre aber von Seiten des Staatsoberhaupts eben nicht nothwendig. Er | ||||||
| 32 | kann frei heraus sagen, daß er jeden Aufruhr mit dem Tode der Rädelsführer | ||||||
| 33 | bestrafen werde, diese mögen auch immer glauben, er habe seinerseits | ||||||
| 34 | das Fundamentalgesetz zuerst übertreten; denn wenn er sich bewußt | ||||||
| 35 | ist, die unwiderstehliche Obergewalt zu besitzen (welches auch in jeder | ||||||
| 36 | bürgerlichen Verfassung so angenommen werden muß, weil der, welcher | ||||||
| 37 | nicht Macht genug hat, einen jeden im Volk gegen den andern zu schützen, | ||||||
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