Kant: AA VIII, Zum ewigen Frieden. Ein ... , Seite 381 |
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Text (Kant):
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| 01 | II |
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| 02 | Von der Einhelligkeit der Politik mit der Moral nach dem transscendentalen |
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| 03 | Begriffe des öffentlichen Rechts. |
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| 04 | Wenn ich von aller Materie des öffentlichen Rechts (nach den verschiedenen | ||||||
| 05 | empirisch=gegebenen Verhältnissen der Menschen im Staat oder | ||||||
| 06 | auch der Staaten unter einander), so wie es sich die Rechtslehrer gewöhnlich | ||||||
| 07 | denken, abstrahire, so bleibt mir noch die Form der Publicität | ||||||
| 08 | übrig, deren Möglichkeit ein jeder Rechtsanspruch in sich enthält, weil ohne | ||||||
| 09 | jene es keine Gerechtigkeit (die nur als öffentlich kundbar gedacht | ||||||
| 10 | werden kann), mithin auch kein Recht, das nur von ihr ertheilt wird, geben | ||||||
| 11 | würde. | ||||||
| 12 | Diese Fähigkeit der Publicität muß jeder Rechtsanspruch haben, und | ||||||
| 13 | sie kann also, da es sich ganz leicht beurtheilen läßt, ob sie in einem vorkommenden | ||||||
| 14 | Falle statt finde, d. i. ob sie sich mit den Grundsätzen des | ||||||
| 15 | Handelnden vereinigen lasse oder nicht, ein leicht zu brauchendes, a priori | ||||||
| 16 | in der Vernunft anzutreffendes Kriterium abgeben, im letzteren Fall die | ||||||
| 17 | Falschheit (Rechtswidrigkeit) des gedachten Anspruchs ( praetensio iuris ) | ||||||
| 18 | gleichsam durch ein Experiment der reinen Vernunft sofort zu erkennen. | ||||||
| 19 | Nach einer solchen Abstraction von allem Empirischen, was der Begriff | ||||||
| 20 | des Staats= und Völkerrechts enthält (dergleichen das Bösartige der | ||||||
| 21 | menschlichen Natur ist, welches den Zwang nothwendig macht), kann man | ||||||
| 22 | folgenden Satz die transscendentale Formel des öffentlichen Rechts | ||||||
| 23 | nennen: | ||||||
| 24 | "Alle auf das Recht anderer Menschen bezogene Handlungen, | ||||||
| 25 | deren Maxime sich nicht mit der Publicität verträgt, sind Unrecht." | ||||||
| 26 | Dieses Princip ist nicht bloß als ethisch (zur Tugendlehre gehörig), | ||||||
| 27 | sondern auch als juridisch (das Recht der Menschen angehend) zu betrachten. | ||||||
| 28 | Denn eine Maxime, die ich nicht darf lautwerden lassen, | ||||||
| 29 | ohne dadurch meine eigene Absicht zugleich zu vereiteln, die durchaus | ||||||
| 30 | verheimlicht werden muß, wenn sie gelingen soll, und zu der ich mich nicht | ||||||
| 31 | öffentlich bekennen kann, ohne daß dadurch unausbleiblich der Widerstand | ||||||
| 32 | Aller gegen meinen Vorsatz gereizt werde, kann diese nothwendige | ||||||
| 33 | und allgemeine, mithin a priori einzusehende Gegenbearbeitung Aller | ||||||
| 34 | gegen mich nirgend wovon anders, als von der Ungerechtigkeit her haben, | ||||||
| 35 | womit sie jedermann bedroht. - Es ist ferner bloß negativ, d. i. es | ||||||
| 36 | dient nur, um vermittelst desselben, was gegen Andere nicht recht ist, zu erkennen. | ||||||
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