Kant: AA VIII, Zum ewigen Frieden. Ein ... , Seite 380

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 In der That kann der politische Moralist sagen: Regent und Volk,      
  02 oder Volk und Volk thun einander nicht Unrecht, wenn sie einander gewaltthätig      
  03 oder hinterlistig befehden, ob sie zwar überhaupt darin Unrecht      
  04 thun, daß sie dem Rechtsbegriffe, der allein den Frieden auf ewig begründen      
  05 könnte, alle Achtung versagen. Denn weil der eine seine Pflicht gegen den      
  06 andern übertritt, der gerade eben so rechtswidrig gegen jenen gesinnt ist,      
  07 so geschieht ihnen beiderseits ganz recht, wenn sie sich unter einander      
  08 aufreiben, doch so, daß von dieser Race immer noch genug übrig bleibt,      
  09 um dieses Spiel bis zu den entferntesten Zeiten nicht aufhören zu lassen,      
  10 damit eine späte Nachkommenschaft an ihnen dereinst ein warnendes Beispiel      
  11 nehme. Die Vorsehung im Laufe der Welt ist hiebei gerechtfertigt;      
  12 denn das moralische Princip im Menschen erlöscht nie, die pragmatisch      
  13 zur Ausführung der rechtlichen Ideen nach jenem Princip tüchtige Vernunft      
  14 wächst noch dazu beständig durch immer fortschreitende Cultur, mit      
  15 ihr aber auch die Schuld jener Übertretungen. Die Schöpfung allein:      
  16 daß nämlich ein solcher Schlag von verderbten Wesen überhaupt hat auf      
  17 Erden sein sollen, scheint durch keine Theodicee gerechtfertigt werden zu      
  18 können (wenn wir annehmen, daß es mit dem Menschengeschlechte nie besser      
  19 bestellt sein werde noch könne); aber dieser Standpunkt der Beurtheilung      
  20 ist für uns viel zu hoch, als daß wir unsere Begriffe (von Weisheit) der      
  21 obersten, uns unerforschlichen Macht in theoretischer Absicht unterlegen      
  22 könnten. - Zu solchen verzweifelten Folgerungen werden wir unvermeidlich      
  23 hingetrieben, wenn wir nicht annehmen, die reine Rechtsprincipien      
  24 haben objective Realität, d. i. sie lassen sich ausführen; und darnach müsse      
  25 auch von Seiten des Volks im Staate und weiterhin von Seiten der      
  26 Staaten gegen einander gehandelt werden; die empirische Politik mag      
  27 auch dagegen einwenden, was sie wolle. Die wahre Politik kann also keinen      
  28 Schritt thun, ohne vorher der Moral gehuldigt zu haben, und obzwar      
  29 Politik für sich selbst eine schwere Kunst ist, so ist doch Vereinigung derselben      
  30 mit der Moral gar keine Kunst; denn diese haut den Knoten entzwei,      
  31 den jene nicht aufzulösen vermag, sobald beide einander widerstreiten.      
  32 Das Recht der Menschen muß heilig gehalten werden, der      
  33 herrschenden Gewalt mag es auch noch so große Aufopferung kosten. Man      
  34 kann hier nicht halbieren und das Mittelding eines pragmatisch=bedingten      
  35 Rechts (zwischen Recht und Nutzen) aussinnen, sondern alle Politik muß      
  36 ihre Kniee vor dem erstern beugen, kann aber dafür hoffen, obzwar langsam,      
  37 zu der Stufe zu gelangen, wo sie beharrlich glänzen wird.      
           
           
     

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