Kant: AA VIII, Zum ewigen Frieden. Ein ... , Seite 352 |
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01 | werden. Die Formen eines Staats ( civitas ) können entweder nach dem | ||||||
02 | Unterschiede der Personen, welche die oberste Staatsgewalt inne haben, | ||||||
03 | oder nach der Regierungsart des Volks durch sein Oberhaupt, er mag | ||||||
04 | sein, welcher er wolle, eingetheilt werden; die erste heißt eigentlich die Form | ||||||
05 | der Beherrschung ( forma imperii ), und es sind nur drei derselben | ||||||
06 | möglich, wo nämlich entweder nur Einer, oder Einige unter sich verbunden, | ||||||
07 | oder Alle zusammen, welche die bürgerliche Gesellschaft ausmachen, | ||||||
08 | die Herrschergewalt besitzen (Autokratie, Aristokratie und Demokratie, | ||||||
09 | Fürstengewalt, Adelsgewalt und Volksgewalt). Die zweite ist die | ||||||
10 | Form der Regierung ( forma regiminis ) und betrifft die auf die Constitution | ||||||
11 | (den Act des allgemeinen Willens, wodurch die Menge ein Volk | ||||||
12 | wird) gegründete Art, wie der Staat von seiner Machtvollkommenheit | ||||||
13 | Gebrauch macht: und ist in dieser Beziehung entweder republikanisch | ||||||
14 | oder despotisch. Der Republikanism ist das Staatsprincip der Absonderung | ||||||
15 | der ausführenden Gewalt (der Regierung) von der gesetzgebenden; | ||||||
16 | der Despotism ist das der eigenmächtigen Vollziehung des | ||||||
17 | Staats von Gesetzen, die er selbst gegeben hat, mithin der öffentliche Wille, | ||||||
18 | sofern er von dem Regenten als sein Privatwille gehandhabt wird. - Unter | ||||||
19 | den drei Staatsformen ist die der Demokratie im eigentlichen Verstande | ||||||
20 | des Worts nothwendig ein Despotism, weil sie eine exekutive Gewalt | ||||||
21 | gründet, da alle über und allenfalls auch wider Einen (der also nicht | ||||||
22 | mit einstimmt), mithin Alle, die doch nicht Alle sind, beschließen; welches ein | ||||||
23 | Widerspruch des allgemeinen Willens mit sich selbst und mit der Freiheit ist. | ||||||
24 | Alle Regierungsform nämlich, die nicht repräsentativ ist, ist eigentlich | ||||||
25 | eine Unform, weil der Gesetzgeber in einer und derselben Person | ||||||
26 | zugleich Vollstrecker seines Willens (so wenig wie das Allgemeine des | ||||||
27 | Obersatzes in einem Vernunftschlusse zugleich die Subsumtion des Besondern | ||||||
28 | unter jenem im Untersatze) sein kann; und wenn gleich die zwei andern | ||||||
29 | Staatsverfassungen so fern immer fehlerhaft sind, daß sie einer solchen | ||||||
30 | Regierungsart Raum geben, so ist es bei ihnen doch wenigstens | ||||||
31 | möglich, daß sie eine dem Geiste eines repräsentativen Systems gemäße | ||||||
32 | Regierungsart annähmen, wie etwa Friedrich II wenigstens sagte: er | ||||||
33 | sei bloß der oberste Diener des Staats*), da hingegen die demokratische | ||||||
*) Man hat die hohe Benennungen, die einem Beherrscher oft beigelegt werden (die eines göttlichen Gesalbten, eines Verwesers des göttlichen Willens auf Erden und Stellvertreters desselben), als grobe, schwindlich machende Schmeicheleien oft getadelt; aber mich dünkt, ohne Grund. - Weit gefehlt, daß sie den Landesherrn [Seitenumbruch] sollten hochmüthig machen, so müssen sie ihn vielmehr in seiner Seele demüthigen, wenn er Verstand hat (welches man doch voraussetzen muß) und es bedenkt, daß er ein Amt übernommen habe, was für einen Menschen zu groß ist, nämlich das Heiligste, was Gott auf Erden hat, das Recht der Menschen, zu verwalten, und diesem Augapfel Gottes irgend worin zu nahe getreten zu sein jederzeit in Besorgniß stehen muß. | |||||||
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