Kant: AA VIII, Über den Gemeinspruch Das ... , Seite 295

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 selbst kann niemand unrecht thun. Ist es aber ein anderer, so kann der      
  02 bloße Wille eines von ihm Verschiedenen über ihn nichts beschließen, was      
  03 nicht unrecht sein könnte; folglich würde sein Gesetz noch ein anderes      
  04 Gesetz erfordern, welches seine Gesetzgebung einschränkte, mithin kann kein      
  05 besonderer Wille für ein gemeines Wesen gesetzgebend sein. (Eigentlich      
  06 kommen, um diesen Begriff auszumachen, die Begriffe der äußeren      
  07 Freiheit, Gleichheit und Einheit des Willens Aller zusammen, zu      
  08 welcher letzteren, da Stimmgebung erfordert wird, wenn beide erstere      
  09 zusammen genommen werden, Selbstständigkeit die Bedingung ist). Man      
  10 nennt dieses Grundgesetz, das nur aus dem allgemeinen (vereinigten)      
  11 Volkswillen entspringen kann, den ursprünglichen Vertrag.      
           
  12 Derjenige nun, welcher das Stimmrecht in dieser Gesetzgebung hat,      
  13 heißt ein Bürger ( citoyen , d. i. Staatsbürger, nicht Stadtbürger,      
  14 bourgeois ). Die dazu erforderliche Qualität ist außer der natürlichen      
  15 (daß es kein Kind, kein Weib sei) die einzige: daß er sein eigener Herr      
  16 ( sui iuris ) sei, mithin irgend ein Eigenthum habe (wozu auch jede Kunst,      
  17 Handwerk oder schöne Kunst oder Wissenschaft gezählt werden kann),      
  18 welches ihn ernährt; d. i. daß er in den Fällen, wo er von Andern erwerben      
  19 muß, um zu leben, nur durch Veräußerung dessen, was sein*)      
  20 ist, erwerbe, nicht durch Bewilligung, die er anderen giebt, von seinen      
  21 Kräften Gebrauch zu machen, folglich daß er niemanden als dem gemeinen      
  22 Wesen im eigentlichen Sinne des Worts diene. Hier sind nun Kunstverwandte      
  23 und große (oder kleine) Gutseigenthümer alle einander gleich,      
           
    *) Derjenige, welcher ein opus verfertigt, kann es durch Veräußerung an einen anderen bringen, gleich als ob es sein Eigenthum wäre. Die praestatio operae aber ist keine Veräußerung. Der Hausbediente, der Ladendiener, der Taglöhner, selbst der Friseur sind bloß operarii , nicht artifices (in weiterer Bedeutung des Worts) und nicht Staatsglieder, mithin auch nicht Bürger zu sein qualificirt. Obgleich der, welchem ich mein Brennholz aufzuarbeiten, und der Schneider, dem ich mein Tuch gebe, um daraus ein Kleid zu machen, sich in ganz ähnlichen Verhältnissen gegen mich zu befinden scheinen, so ist doch jener von diesem, wie Friseur vom Perrückenmacher (dem ich auch das Haar dazu gegeben haben mag), also wie Taglöhner vom Künstler oder Handwerker, der ein Werk macht, das ihm gehört, so lange er nicht bezahlt ist, unterschieden. Der letztere als Gewerbtreibende verkehrt also sein Eigenthum mit dem Anderen ( opus ), der erstere den Gebrauch seiner Kräfte den er einem Anderen bewilligt ( operam ). - Es ist, ich gestehe es, etwas schwer die Erforderniß zu bestimmen, um auf den Stand eines Menschen, der sein eigener Herr ist, Anspruch machen zu können.      
           
     

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