Kant: AA VIII, Über den Gebrauch ... , Seite 163 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | eine andere Bedeutung, welche die Naturforschung des Ursprungs bezeichnen | ||||||
02 | kann, zuzugestehen; zumal da es auch nicht ohne Schwierigkeit | ||||||
03 | ist, ihm in der letzteren einen andern anpassenden technischen Ausdruck | ||||||
04 | auszufinden*). Doch die Sprachschwierigkeit im Unterscheiden kann den | ||||||
05 | Unterschied der Sachen nicht aufheben. Vermuthlich ist eben dergleichen | ||||||
06 | Mißhelligkeit wegen einer, obwohl unvermeidlichen Abweichung von classischen | ||||||
07 | Ausdrücken auch bei dem Begriffe einer Race die Ursache der Veruneinigung | ||||||
08 | über die Sache selbst gewesen. Es ist uns hier widerfahren, | ||||||
09 | was Sterne bei Gelegenheit eines physiognomischen Streits, der nach | ||||||
10 | seinen launichten Einfällen alle Facultäten der straßburgischen Universität | ||||||
11 | in Aufruhr versetzte, sagt: die Logiker würden die Sache entschieden | ||||||
12 | haben, wären sie nur nicht auf eine Definition gestoßen. Was ist | ||||||
13 | eine Race? Das Wort steht gar nicht in einem System der Naturbeschreibung, | ||||||
14 | vermuthlich ist also auch das Ding selber überall nicht in der | ||||||
15 | Natur. Allein der Begriff, den dieser Ausdruck bezeichnet, ist doch in der | ||||||
16 | Vernunft eines jeden Beobachters der Natur gar wohl gegründet, der zu | ||||||
17 | einer sich vererbenden Eigenthümlichkeit verschiedener vermischt zeugenden | ||||||
18 | Thiere, die nicht in dem Begriffe ihrer Gattung liegt, eine Gemeinschaft | ||||||
19 | der Ursache und zwar einer in dem Stamme der Gattung selbst ursprünglich | ||||||
20 | gelegenen Ursache denkt. Daß dieses Wort nicht in der Naturbeschreibung | ||||||
21 | (sondern an dessen Statt das der Varietät) vorkommt, kann | ||||||
22 | ihn nicht abhalten, es in Absicht auf Naturgeschichte nöthig zu finden. | ||||||
23 | Nur muß er es freilich zu diesem Behuf deutlich bestimmen; und dieses | ||||||
24 | wollen wir hier versuchen. | ||||||
25 | Der Name einer Race, als radicaler Eigenthümlichkeit, die auf | ||||||
26 | einen gemeinschaftlichen Abstamm anzeige giebt und zugleich mehrere solche | ||||||
27 | beharrliche forterbende Charaktere nicht allein derselben Thiergattung, sondern | ||||||
28 | auch desselben Stammes zuläßt, ist nicht unschicklich ausgedacht. Ich | ||||||
29 | würde ihn durch Abartung ( progenies classifica ) übersetzen, um eine Race | ||||||
30 | von der Ausartung ( degeneratio s. progenies specifica )**) zu unterscheiden, | ||||||
*) Ich würde für die Naturbeschreibung das Wort Physiographie, für Naturgeschichte aber Physiogonie in Vorschlag bringen. | |||||||
**) Die Benennungen der classes und ordines drücken ganz unzweideutig eine blos logische Absonderung aus, die die Vernunft unter ihren Begriffen zum Behuf der bloßen Vergleichung macht: genera und Species aber können auch die physische Absonderung bedeuten, die die Natur selbst unter ihren Geschöpfen in Ansehung ihrer Erzeugung macht. Der Charakter der Race kann also hinreichen, [Seitenumbruch] um Geschöpfe darnach zu classificiren, aber nicht um eine besondere Species daraus zu machen, weil diese auch eine absonderliche Abstammung bedeuten könnte, welche wir unter dem Namen einer Race nicht verstanden wissen wollen. Es versteht sich von selbst, daß wir hier das Wort Classe nicht in der ausgedehnten Bedeutung nehmen, als es im Linnçischen System genommen wird; wir brauchen es aber auch zur Eintheilung in ganz anderer Absicht. | |||||||
[ Seite 162 ] [ Seite 164 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |