Kant: AA VIII, Über den Gebrauch ... , Seite 162 |
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01 | Kräften der Natur, wie sie sich uns jetzt darbietet, ableiten, nur blos so | ||||||
02 | weit zurück verfolgen, als es die Analogie erlaubt, das wäre Naturgeschichte | ||||||
03 | und zwar eine solche, die nicht allein möglich, sondern auch z. B. | ||||||
04 | in den Erdtheorien (worunter des berühmten Linne seine auch ihren Platz | ||||||
05 | findet) von gründlichen Naturforschern häufig genug versucht worden ist, | ||||||
06 | sie mögen nun viel oder wenig damit ausgerichtet haben. Auch gehört | ||||||
07 | selbst des Herrn F. Muthmaßung vom ersten Ursprunge des Negers gewiß | ||||||
08 | nicht zur Naturbeschreibung, sondern nur zur Naturgeschichte. Dieser | ||||||
09 | Unterschied ist in der Sachen Beschaffenheit gelegen, und ich verlange dadurch | ||||||
10 | nichts Neues, sondern blos die sorgfältige Absonderung des einen | ||||||
11 | Geschäftes vom andern, weil sie ganz heterogen sind, und, wenn die | ||||||
12 | eine (die Naturbeschreibung) als Wissenschaft in der ganzen Pracht eines | ||||||
13 | großen Systems erscheint, die andere (die Naturgeschichte) nur Bruchstücke, | ||||||
14 | oder wankende Hypothesen aufzeigen kann. Durch diese Absonderung | ||||||
15 | und Darstellung der zweiten, als einer eigenen, wenn gleich | ||||||
16 | für jetzt (vielleicht auch auf immer) mehr im Schattenrisse als im Werk | ||||||
17 | ausführbaren Wissenschaft (in welcher für die meisten Fragen ein Vacat | ||||||
18 | angezeichnet gefunden werden möchte), hoffe ich das zu bewirken, daß man | ||||||
19 | sich nicht mit vermeintlicher Einsicht auf die eine etwas zu gute thue, | ||||||
20 | was eigentlich blos der andern angehört, und den Umfang der wirklichen | ||||||
21 | Erkenntnisse in der Naturgeschichte (denn einige derselben besitzt man), | ||||||
22 | zugleich auch die in der Vernunft selbst liegende Schranken derselben | ||||||
23 | sammt den Principien, wonach sie auf die bestmögliche Art zu erweitern | ||||||
24 | wäre, bestimmter kennen lerne. Man muß mir diese Peinlichkeit schon zu | ||||||
25 | gute halten, da ich so manches Unheil aus der Sorglosigkeit, die Grenzen | ||||||
26 | der Wissenschaften in einander laufen zu lassen, in anderen Fällen erfahren | ||||||
27 | und nicht eben zu jedermanns Wohlgefallen angezeigt habe; überdem | ||||||
28 | hiebei völlig überzeugt worden bin, daß durch die bloße Scheidung des | ||||||
29 | Ungleichartigen, welches man vorher im Gemenge genommen hatte, den | ||||||
30 | Wissenschaften oft ein ganz neues Licht aufgehe, wobei zwar manche Armseligkeit | ||||||
31 | aufgedeckt wird, die sich vorher hinter fremdartigen Kenntnissen | ||||||
32 | verstecken konnte, aber auch viele ächte Quellen der Erkenntniß eröffnet | ||||||
33 | werden, wo man sie gar nicht hätte vermuthen sollen. Die größte | ||||||
34 | Schwierigkeit bei dieser vermeintlichen Neuerung liegt blos im Namen. | ||||||
35 | Das Wort Geschichte in der Bedeutung, da es einerlei mit dem griechischen | ||||||
36 | Historia (Erzählung, Beschreibung) ausdrückt, ist schon zu sehr und | ||||||
37 | zu lange im Gebrauche, als daß man sich leicht gefallen lassen sollte, ihm | ||||||
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