Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 315 |
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01 | und allen anderen Völkern unerhörte wohlthätige Stiftungen. - Der | ||||||
02 | Fremde aber, der durchs Schicksal auf jenes seinen Boden verschlagen und | ||||||
03 | in große Noth gerathen ist, kann immer auf dem Misthaufen umkommen, | ||||||
04 | weil er kein Engländer, d. i. kein Mensch, ist. | ||||||
05 | Aber auch in seinem eigenen Vaterlande isolirt sich der Engländer, | ||||||
06 | wo er für sein Geld speist. Er will lieber in einem besonderen Zimmer | ||||||
07 | allein als an der Wirthstafel für dasselbe Geld speisen: weil bei der letzteren | ||||||
08 | doch etwas Höflichkeit erfordert wird, und in der Fremde, z. B. in | ||||||
09 | Frankreich, dahin Engländer nur reisen, um alle Wege und Wirthshäuser | ||||||
10 | (wie D. Sharp) für abscheulich auszuschrein, sammeln sie sich in diesen, | ||||||
11 | um blos unter sich Gesellschaft zu halten. - Sonderbar ist doch, daß, da | ||||||
12 | der Franzose die englische Nation gemeiniglich liebt und mit Achtung lobpreist, | ||||||
13 | dennoch der Engländer (der nicht aus seinem Lande gekommen ist) | ||||||
14 | jenen im allgemeinen haßt und verachtet; woran wohl nicht die Rivalität | ||||||
15 | der Nachbarschaft (denn da sieht sich England dem letzteren ohne allen | ||||||
16 | Streit überlegen), sondern der Handelsgeist überhaupt Schuld ist, der in | ||||||
17 | der Voraussetzung den vornehmsten Stand auszumachen unter Kaufleuten | ||||||
18 | desselben Volks sehr ungesellig ist*), Da beide Völker einander in Ansehung | ||||||
19 | der beiderseitigen Küsten nahe und nur durch einen Canal der (freilich | ||||||
20 | wohl ein Meer heißen könnte) von einander getrennt sind: so bewirkt | ||||||
21 | die Rivalität derselben unter einander doch einen auf verschiedene Art | ||||||
22 | modificirten politischen Charakter in ihrer Befehdung: Besorgniß auf | ||||||
23 | der einen und Haß auf der anderen Seite; welche zwei Arten ihrer Unvereinbarkeit | ||||||
24 | sind, wovon jene die Selbsterhaltung, diese die Beherrschung, | ||||||
25 | im entgegengesetzten Falle aber die Vertilgung der anderen zur | ||||||
26 | Absicht hat. | ||||||
27 | Die Charakterzeichnung der übrigen, deren Nationaleigenthümlichkeit | ||||||
28 | nicht sowohl wie bei beiden vorhergehenden meistens aus der Art ihrer | ||||||
29 | verschiedenen Cultur, als vielmehr aus der Anlage ihrer Natur durch Vermischung | ||||||
30 | ihrer ursprünglich verschiedenen Stämme abzuleiten sein möchte, | ||||||
31 | können wir jetzt kürzer fassen. | ||||||
*) Der Handelsgeist ist überhaupt an sich ungesellig; wie der Adelsgeist. Ein Haus (so nennt der Kaufmann sein Comptoir) ist von dem anderen durch seine Geschäfte, wie ein Rittersitz vom anderen durch eine Zugbrücke abgesondert und freundschaftlicher Umgang ohne Ceremonie daraus verwiesen; es müßte denn der mit von demselben Beschützten sein, die aber alsdann nicht als Glieder desselben anzusehen sein würden. | |||||||
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