Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 309

   
         
 

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  01 sein Geschlechtsvermögen vielleicht schon vor der Ehe lüderlich durchgebracht    
  02 hat, wird der Geck in seinem eigenen Hause sein; denn er kann    
  03 diese häusliche Herrschaft nur haben, sofern er keine billigen Ansprüche    
  04 schuldig bleibt.    
         
  05 Hume bemerkt, daß den Weibern (selbst alten Jungfern) Satiren    
  06 auf den Ehestand mehr verdrießen als die Sticheleien auf ihr Geschlecht.    
  07 - Denn mit diesen kann es niemals Ernst sein, da aus jenen    
  08 allerdings wohl Ernst werden könnte, wenn man die Beschwerden jenes    
  09 Standes Recht ins Licht stellt, deren der Unverheurathete überhoben ist.    
  10 Eine Freigeisterei in diesem Fache müßte aber von schlimmen Folgen für    
  11 das ganze weibliche Geschlecht sein: weil dieses zu einem bloßen Mittel    
  12 der Befriedigung der Neigung des anderen Geschlechts herabsinken würde,    
  13 welche aber leicht in Überdruß und Flatterhaftigkeit ausschlagen kann.    
  14 Das Weib wird durch die Ehe frei; der Mann verliert dadurch seine    
  15 Freiheit.    
         
  16 Die moralischen Eigenschaften an einem vornehmlich jungen Manne    
  17 vor der Ehelichung desselben auszuspähen, ist nie die Sache einer Frau.    
  18 Sie glaubt ihn bessern zu können; eine vernünftige Frau, sagt sie, kann    
  19 einen verunarteten Mann schon zurechte bringen, in welchem Urtheile sie    
  20 mehrentheils sich auf die kläglichste Art betrogen findet. Dahin gehört    
  21 auch die Meinung jener Treuherzigen: daß die Ausschweifungen dieses    
  22 Menschen vor der Ehe übersehen werden können, weil er nun an seiner    
  23 Frau, wenn er sich nur noch nicht erschöpft hat, hinreichend für diesen Instinct    
  24 versorgt sein werde. - Die guten Kinder bedenken nicht: daß die    
  25 Lüderlichkeit in diesem Fache gerade im Wechsel des Genusses besteht, und    
  26 das Einerlei in der Ehe ihn bald zur obigen Lebensart zurückführen    
  27 werde.*)    
         
  28 Wer soll dann den oberen Befehl im Hause haben? Denn nur einer    
  29 kann es doch sein, der alle Geschäfte in einen mit dieses seinen Zwecken    
  30 übereinstimmenden Zusammenhang bringt. - Ich würde in der Sprache    
  31 der Galanterie (doch nicht ohne Wahrheit) sagen: die Frau soll herrschen    
  32 und der Mann regieren; denn die Neigung herrscht, und der Verstand    
  33 regiert. - Das Betragen des Ehemannes muß zeigen: daß ihm das Wohl    
         
    *) Die Folge davon ist, wie in Voltairens Reise des Scarmentado: "Endlich", sagt er, "reisete ich in mein Vaterland Candia zurück, nahm daselbst ein Weib, wurde bald Hahnrei und fand, daß dies die gemächlichste Lebensart unter allen sei."    
         
     

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