Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 296

   
         
 

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  01 mit ziemlicher Gewißheit schließen, daß auch das Innere nicht viel tauge;    
  02 denn der Künstler wird doch ein fleißig und gut gearbeitetes Werk dadurch    
  03 nicht in Mißcredit bringen, daß er das Äußere desselben, welches    
  04 die wenigste Arbeit kostet, vernachlässigt. - Aber nach der Analogie eines    
  05 menschlichen Künstlers mit dem unerforschlichen Schöpfer der Natur wäre    
  06 es ungereimt auch hier zu schließen: daß er etwa einer guten Seele auch    
  07 einen schönen Leib werde beigegeben haben, um den Menschen, den er schuf,    
  08 bei andern Menschen zu empfehlen und in Aufnahme zu bringen, oder    
  09 auch umgekehrt einen von dem andern (durch das hic niger est, hunc tu    
  10 Romane caveto ) abgeschreckt haben werde. Denn der Geschmack, der    
  11 einen blos subjectiven Grund des Wohlgefallens oder Mißfallens eines    
  12 Menschen an dem andern (nach ihrer Schönheit oder Häßlichkeit) enthält,    
  13 kann der Weisheit, welche objectiv das Dasein derselben mit gewissen    
  14 Naturbeschaffenheiten zum Zweck hat (den wir schlechterdings nicht einsehen    
  15 können), nicht zur Richtschnur dienen, um diese zwei heterogenen    
  16 Dinge als in einem und demselben Zweck vereinigt im Menschen anzunehmen.    
         
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Von der Leitung der Natur zur Physiognomik.
   
         
  19 Daß wir dem, welchem wir uns anvertrauen sollen, er mag uns auch    
  20 noch so gut empfohlen sein, vorher ins Gesicht, vornehmlich in die Augen    
  21 sehen, um zu erforschen, wessen wir uns gegen ihn zu versehen haben, ist    
  22 ein Naturantrieb, und das Abstoßende oder Anziehende in seiner Geberdung    
  23 entscheidet über unsere Wahl, oder macht uns auch bedenklich, ehe    
  24 wir noch seine Sitten erkundigt haben, und so ist nicht zu streiten, daß es    
  25 eine physiognomische Charakteristik gebe, die aber nie eine Wissenschaft    
  26 werden kann: weil die Eigenthümlichkeit einer menschlichen Gestalt, die    
  27 auf gewisse Neigungen oder Vermögen des angeschauten Subjects hindeutet,    
  28 nicht durch Beschreibung nach Begriffen, sondern durch Abbildung    
  29 und Darstellung in der Anschauung oder ihrer Nachahmung verstanden    
  30 werden kann; wo die Menschengestalt im allgemeinen nach ihren Varietäten,    
  31 deren jede auf eine besondere innere Eigenschaft des Menschen im    
  32 Inneren hindeuten soll, der Beurtheilung ausgesetzt wird.    
         
  33 Nachdem die Caricaturzeichnungen menschlicher Köpfe von Baptista    
  34 Porta, welche Thierköpfe nach der Analogie mit gewissen charakteristischen    
  35 Menschengesichtern verglichen darstellen und daraus auf eine Ähnlichkeit    
         
     

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