Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 292

   
         
 

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  01 gerühmt; denn das ist eine Seltenheit, die Hochachtung gegen ihn und    
  02 Bewunderung erregt.    
         
  03 Wenn man unter dieser Benennung überhaupt das versteht, wessen    
  04 man sich zu ihm sicher zu versehen hat, es mag Gutes oder Schlimmes    
  05 sein, so pflegt man dazu zu setzen: er hat diesen oder jenen Charakter,    
  06 und dann bezeichnet der Ausdruck die Sinnesart. - Einen Charakter    
  07 aber schlechthin zu haben, bedeutet diejenige Eigenschaft des Willens, nach    
  08 welcher das Subject sich selbst an bestimmte praktische Principien bindet,    
  09 die er sich durch seine eigene Vernunft unabänderlich vorgeschrieben hat.    
  10 Ob nun zwar diese Grundsätze auch bisweilen falsch und fehlerhaft sein    
  11 dürften, so hat doch das Formelle des Wollens überhaupt, nach festen    
  12 Grundsätzen zu handeln (nicht wie in einem Mückenschwarm bald hiehin    
  13 bald dahin abzuspringen), etwas Schätzbares und Bewundernswürdiges    
  14 in sich; wie es denn auch etwas Seltenes ist.    
         
  15 Es kommt hiebei nicht auf das an, was die Natur aus dem Menschen,    
  16 sondern was dieser aus sich selbst macht; denn das erstere gehört    
  17 zum Temperament (wobei das Subject großentheils passiv ist), und nur    
  18 das letztere giebt zu erkennen, daß er einen Charakter habe.    
  19 Alle andere gute und nutzbare Eigenschaften desselben haben einen    
  20 Preis, sich gegen andere, die eben so viel Nutzen schaffen, austauschen zu    
  21 lassen; das Talent einen Marktpreis, denn der Landes= oder Gutsherr    
  22 kann einen solchen Menschen auf allerlei Art brauchen; - das Temperament    
  23 einen Affectionspreis; man kann sich mit ihm gut unterhalten, er    
  24 ist ein angenehmer Gesellschafter; - aber - der Charakter hat einen inneren    
  25 Werth*) und ist über allen Preis erhaben.    
         
         
    *) Ein Seefahrer hörte in einer Gesellschaft dem Streite zu, den Gelehrte über den Rang unter sich nach ihren Facultäten führten. Er entschied ihn auf seine Art, nämlich: wie viel ihm wohl ein Mensch, den er gekapert hätte, beim Verkauf auf dem Markt in Algier einbringen würde. Den Theologen und Juristen kann dort kein Mensch brauchen; aber der Arzt versteht ein Handwerk und kann für baar gelten. - König Jakob I von England wurde von der Amme, die ihn gesäugt hatte, gebeten: er möchte doch ihren Sohn zum Gentleman (feinem Mann) machen. Jakob antwortete: "Das kann ich nicht; ich kann ihn wohl zum Grafen, aber zum Gentleman muß er sich selbst machen." - Diogenes (der Cyniker) ward (wie die vorgebliche Geschichte lautet) auf einer Seereise bei der Insel Kreta weggekapert und auf dem Markte bei einem öffentlichen Sklavenverkauf ausgeboten. "Was kannst du, was verstehst du?" fragte ihn der Mäkler, der ihn auf eine Erhöhung gestellt hatte. "Ich verstehe zu regieren, antwortete der Philosoph, und du suche mir einen [Seitenumbruch] Käufer, der einen Herren nöthig hat." Der Kaufmann, über dieses seltsame Ansinnen in sich selbst gekehrt, schlug zu in diesem seltsamen Handel: indem er seinen Sohn dem letzteren zur Bildung übergab, aus ihm zu machen, was er wollte, selbst aber einige Jahre in Asien Handlung trieb und dann seinen vorher ungeschlachten Sohn in einen geschickten, wohlgesitteten, tugendhaften Menschen umgebildet zurück erhielt. - - So ungefähr kann man die Gradation des Menschenwerths schätzen.    
         
     

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