Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 243 |
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01 | sondern unmittelbar gleichsam durch Schmecken des Zuträglichen in die | ||||||
02 | Seele kommt. | ||||||
03 | § 68. Das Erhabene (sublime) ist die ehrfurchterregende Großheit | ||||||
04 | ( magnitudo reverenda ) dem Umfange oder dem Grade nach, zu dem | ||||||
05 | die Annäherung (um ihm mit seinen Kräften angemessen zu sein) einladend, | ||||||
06 | die Furcht aber, in der Vergleichung mit demselben in seiner | ||||||
07 | eigenen Schätzung zu verschwinden, zugleich abschreckend ist (z. B. der | ||||||
08 | Donner über unserem Haupte, oder ein hohes, wildes Gebirge); wobei, | ||||||
09 | wenn man selbst in Sicherheit ist, Sammlung seiner Kräfte, um die Erscheinung | ||||||
10 | zu fassen, und dabei Besorgniß, ihre Größe nicht erreichen zu | ||||||
11 | können, Verwunderung (ein angenehmes Gefühl durch continuirliche | ||||||
12 | Überwindung des Schmerzens) erregt wird. | ||||||
13 | Das Erhabene ist zwar das Gegengewicht, aber nicht das Widerspiel | ||||||
14 | vom Schönen: weil die Bestrebung und der Versuch, sich zu der | ||||||
15 | Fassung ( apprehensio ) des Gegenstandes zu erheben, dem Subject ein | ||||||
16 | Gefühl seiner eigenen Größe und Kraft erweckt; aber die Gedankenvorstellung | ||||||
17 | desselben in der Beschreibung oder Darstellung kann und mu | ||||||
18 | immer schön sein. Denn sonst wird die Verwunderung Abschreckung, | ||||||
19 | welche von Bewunderung, als einer Beurtheilung wobei man des Verwunderns | ||||||
20 | nicht satt wird, sehr unterschieden ist. | ||||||
21 | Die Großheit, die zweckwidrig ist ( magnitudo monstrosa ), ist das | ||||||
22 | Ungeheuere. Daher haben die Schriftsteller, welche die weitläuftige | ||||||
23 | Größe des russischen Reichs erheben wollten, es schlecht getroffen, daß sie | ||||||
24 | es als Ungeheuer betitelten; denn hierin liegt ein Tadel: als ob es für | ||||||
25 | einen einzigen Beherrscher zu groß sei. - Abenteuerlich ist ein | ||||||
26 | Mensch, der den Hang hat, sich in Begebenheiten zu verflechten, deren | ||||||
27 | wahre Erzählung einem Roman ähnlich ist. | ||||||
28 | Das Erhabene ist also zwar nicht ein Gegenstand für den Geschmack, | ||||||
29 | sondern für das Gefühl der Rührung; aber die künstliche Darstellung | ||||||
30 | desselben in der Beschreibung und Bekleidung (bei Nebenwerken, parerga ) | ||||||
31 | kann und soll schön sein: weil es sonst wild, rauh und abstoßend und so | ||||||
32 | dem Geschmack zuwider ist. | ||||||
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