Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 224 |
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01 | mit der Wünschelruthe in der Hand den schätzen der Erkenntniß auf | ||||||
02 | die Spur zu kommen, ohne daß sie es gelernt haben; was sie denn auch | ||||||
03 | andere nicht lehren, sondern es ihnen nur vormachen können, weil es eine | ||||||
04 | Naturgabe ist. | ||||||
05 | C. |
[ entsprechender Abschnitt in den Reflexionen zur Antropologie (AA XV, 233)] | |||||
06 | Von der Originalität des Erkenntnißvermögens |
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07 | oder dem Genie. |
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08 | § 57. Etwas erfinden ist ganz was anderes als etwas entdecken. | ||||||
09 | Denn die Sache, welche man entdeckt, wird als vorher schon existirend | ||||||
10 | angenommen, nur daß sie noch nicht bekannt war, z. B. Amerika vor dem | ||||||
11 | Columbus; was man aber erfindet, z. B. das Schießpulver, war vor | ||||||
12 | dem Künstler*), der es machte, noch gar nicht gekannt. Beides kann Verdienst | ||||||
13 | sein. Man kann aber etwas finden, was man gar nicht sucht (wie | ||||||
14 | der Goldkoch den Phosphor), und da ist es auch gar kein Verdienst. - Nun | ||||||
15 | heißt das Talent zum Erfinden das Genie. Man legt aber diesen Namen | ||||||
16 | immer nur einem Künstler bei, also dem, der etwas zu machen versteht, | ||||||
17 | nicht dem, der blos vieles kennt und weiß; aber auch nicht einem blos | ||||||
18 | nachahmenden, sondern einem seine Werke ursprünglich hervorzubringen | ||||||
19 | aufgelegten Künstler; endlich auch diesem nur, wenn sein Product musterhaft | ||||||
20 | ist, d. i. wenn es verdient als Beispiel (exemplar) nachgeahmt zu | ||||||
21 | werden. - Also ist das Genie eines Menschen "die musterhafte Originalität | ||||||
22 | seines Talents" (in Ansehung dieser oder jener Art von Kunstproducten). | ||||||
23 | Man nennt aber auch einen Kopf, der die Anlage dazu hat, ein | ||||||
24 | Genie; da alsdann dieses Wort nicht blos die Naturgabe einer Person, | ||||||
25 | sondern auch die Person selbst bedeuten soll. - In vielen Fächern Genie | ||||||
26 | zu sein ist ein vastes Genie (wie Leonardo da Vinci). | ||||||
27 | Das eigentliche Feld für das Genie ist das der Einbildungskraft: | ||||||
28 | weil diese schöpferisch ist und weniger als andere Vermögen unter dem | ||||||
29 | Zwange der Regeln steht, dadurch aber der Originalität desto fähiger ist. | ||||||
*) Das Schießpulver war lange vor des Mönchs Schwarz Zeit schon in der Belagerung von Ageziras gebraucht worden, und die Erfindung desselben scheint den Chinesen anzugehören. Es kann aber doch sein, daß jener Deutsche, der dieses Pulver in seine Hände bekam, Versuche zur Zergliederung desselben (z. B. durch Auslaugen des darin befindlichen Salpeters, Abschwemmung der Kohle und Verbrennung des Schwefels) machte und so es entdeckt, obgleich nicht erfunden hat. | |||||||
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