Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 199 |
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01 | König Karl II., welcher in seinem Leben viel Kluges gesagt und nie was | ||||||
02 | Kluges gethan hat." | ||||||
03 | In Gesellschaft stumm sein und nur dann und wann ein ganz gemeines | ||||||
04 | Urtheil fallen lassen, sieht aus wie verständig sein, so wie ein gewisser | ||||||
05 | Grad Grobheit für (alte deutsche) Ehrlichkeit ausgegeben wird. | ||||||
06 | Der natürliche Verstand kann nun noch durch Belehrung mit vielen | ||||||
07 | Begriffen bereichert und mit Regeln ausgestattet werden; aber das zweite | ||||||
08 | intellectuelle Vermögen, nämlich das der Unterscheidung, ob etwas ein | ||||||
09 | Fall der Regel sei oder nicht, die Urtheilskraft ( iudicium ), kann nicht | ||||||
10 | belehrt, sondern nur geübt werden; daher ihr Wachsthum Reife und | ||||||
11 | derjenige Verstand heißt, der nicht vor Jahren kommt. Es ist auch leicht | ||||||
12 | einzusehen, daß dies nicht anders sein könne; denn Belehrung geschieht | ||||||
13 | durch Mittheilung der Regeln. Sollte es also Lehren für die Urtheilskraft | ||||||
14 | geben, so müßte es allgemeine Regeln geben, nach welchen man unterscheiden | ||||||
15 | könnte, ob etwas der Fall der Regel sei oder nicht: welches eine | ||||||
16 | Rückfrage ins Unendliche abgiebt. Dies ist also der Verstand, von dem | ||||||
17 | man sagt, daß er nicht vor den Jahren kommt; der auf eigener langen | ||||||
18 | Erfahrung gegründet ist und dessen Urtheil eine französische Republik bei | ||||||
19 | dem Hause der so genannten Ältesten sucht. | ||||||
20 | Dieses Vermögen, welches nur auf das geht, was thunlich ist, was | ||||||
21 | sich schickt, und was sich geziemt (für technische, ästhetische und praktische | ||||||
22 | Urtheilskraft), ist nicht so schimmernd als dasjenige, welches erweiternd | ||||||
23 | ist; denn es geht blos dem gesunden Verstande zur Seite und macht den | ||||||
24 | Verband zwischen diesem und der Vernunft. | ||||||
25 | § 43. Wenn nun Verstand das Vermögen der Regeln, die Urtheilskraft | [ entsprechender Abschnitt in den Reflexionen zur Antropologie (AA XV, 178)] | |||||
26 | das Vermögen das Besondere, sofern es ein Fall dieser Regel ist, | ||||||
27 | aufzufinden ist, so ist die Vernunft das Vermögen, von dem Allgemeinen | ||||||
28 | das Besondere abzuleiten und dieses letztere also nach Principien und als | ||||||
29 | nothwendig vorzustellen. - Man kann sie also auch durch das Vermögen | ||||||
30 | nach Grundsätzen zu urtheilen und (in praktischer Rücksicht) zu handeln | ||||||
31 | erklären. Zu jedem moralischen Urtheile (mithin auch der Religion) bedarf | ||||||
32 | der Mensch Vernunft und kann sich nicht auf Satzungen und eingeführte | ||||||
33 | Gebräuche fußen. - Ideen sind Vernunftbegriffe, denen kein | ||||||
34 | Gegenstand in der Erfahrung adäquat gegeben werden kann. Sie sind | ||||||
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